Wahr
doziert er gern über gute und schlechte Frauen und möchte Kerttu dringend auf den rechten Weg bringen: »Nimm dir ein Beispiel an Eeva«, sagt er. »Sie passt sich an.«
»Eeva passt sich nicht an«, widerspricht Kerttu.
Pennanen runzelt skeptisch die Stirn. »Immerhin kümmert sie sich um anderer Leute Kinder.« Er nimmt einen Schluck aus seiner Flasche, ehe er weiterredet: »Und anderer Leute Männer.«
Der Mann steht plötzlich mit zwei großen Schritten vor Pennanen, schleudert die Wodkaflasche in den See und presst ihn an die Saunawand, gleich neben den Nagel mit den Netzen.
»Stopp«, sagt Pennanen, »lass gut sein.«
Der Mann löst seinen Griff, Pennanen richtet sich den Hemdkragen, verdutzt, als wüsste er nicht, wie es zu dieser Szene kommen konnte.
Das Mädchen hat alles von der Sauna aus verfolgt. Die Erdbeeren an seinem Hals leuchten wie rote, vergessene Augen.
»Das sollte eigentlich ein Kompliment sein«, brummt Pennanen, »jedenfalls hatte ich es so gemeint. Und zwar für dich, Kerttu.«
»Überleg dir besser ein paar neue Komplimente«, rät Kerttu.
Spätabends gehen Kerttu und ich in die Sauna. Die Männer sitzen auf der Veranda vor dem Haus, drinnen schläft das Mädchen. Ich stelle die Frage erst, als wir die Sauna zum Abkühlen verlassen.
»Passe ich mich an? Danach sieht das Ganze aus?«
Kerttu umarmt mich. »Jetzt beiß dich nicht fest. Das hat er doch nur so gesagt. Im Suff.«
»Müsste ich vielleicht mehr fordern?«
Kerttu sieht mich prüfend an, eine Falte zwischen den Augenbrauen. »Wann kommt Elsa zurück?«
»Nächste Woche Mittwoch.«
Es ist das einzige Mal in dieser Zeit, dass jemand Elsa erwähnt. Natürlich spricht das Mädchen ab und zu von ihr, aber der Mann nie. Kerttu schaut auf den See, scheint ihre Worte abzuwägen. »Du könntest doch im Herbst irgendetwas machen«, sagt sie schließlich.
»Was denn?«
»Dich auf dein Studium konzentrieren. Fang mit deiner Abschlussarbeit an. Komm wieder mit mir zur Uni, ich kenne neue Leute, die musst du unbedingt auch kennenlernen.«
»Er liebt mich.«
»Das ist nicht wenig«, erwidert Kerttu.
»Und das Mädchen liebt mich auch.«
»Das sehe ich.«
Wir schwimmen bis auf die andere Seite der Bucht und wieder zurück, unsere Stimmen hallen über die Oberfläche. Bevor ich aus dem Wasser komme, als ich wieder Grund unter den Füßen habe, denke ich: Im Herbst muss sich etwas ändern.
Als die Abende dunkler werden, setze ich es um. Zu Anfang bemerkt er es nicht einmal. Er denkt, ich wäre beschäftigt. Sogar in der Sammonkatu gehe ich mit einem Buch in den Zimmern umher.
Vielleicht wendet Eeva ihren Blick von mir ab, denkt er irgendwann. Ja, Eeva wendet ihren Blick öfter ab als früher, aber das bedeutet nichts. Er kommt zu mir und küsst mich. Ich schaffe es nicht, mich ganz abzuwenden, und erwidere den Kuss.
Aber wenn ich in der Liisankatu wohne, tue ich so, als würde ich das Telefon nicht hören. Wenn ich doch rangehe, gebe ich knappe Sätze von mir. Ja, sage ich, die Tage sind kurz, die Dunkelheit kommt früh. Nein, sage ich, im Kino war ich nicht, ich war in der Bibliothek. Genau, ich habe zu tun.
Ich lege auf und schließe die Wohnungstür hinter mir, laufe hinunter auf die Straße und wähle andere Wege als sonst. Betrete Bars, in denen ich nie gewesen bin. Manchmal treffe ich mich mit jemandem, aber hauptsächlich sitze ich in der Bibliothek, in der Stille des Lesesaals, öffne meine Bücher, bin diszipliniert.
Ich könnte unterrichten, überlege ich. Ich könnte mich für den Herbst an Schulen bewerben. Warum nicht?
Der November bringt Schnee, der Dezember Kerzen in die Fenster. Es gibt Abende, an denen ich nicht ein einziges Mal an ihn denke, auch an das Mädchen nur ein Mal. Trotzdem trage ich sie mit mir herum. Als lastete ein ganzes Umzugsbündel auf meinen Schultern, in der Hoffnung, bald ein Zuhause zu bekommen.
Aber selbst wenn ich neue Wege einschlage, erinnere ich mich an ihn. Auch wenn ich neue Kleider anziehe, sein Geruch haftet an mir.
Wenn man jemanden kennenlernt, lernt man alles kennen, die Linie des Kinns und wie der andere sich die Zähne putzt. Und wenn man erst mal weiß, wie der andere im Schlaf murmelt – als würde er eine schwierige alte Sprache sprechen, die mühsam zu beherrschen ist –, dann wird das Vergessen schwer.
Ich kenne seine Empfindsamkeit und Grobheit, seinen Übermut und seine plötzliche Melancholie und das komplizierte Geflecht zwischen diesen Elementen. Ich
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