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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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Krächzern die Szene für beendet.
    Ob er gerade an ihre Oma denkt? Oder sogar an Eeva?
    Er schaut aufs Meer. »Du weißt von Eeva.«
    »Ja«, antwortet sie schnell.
    »Elsa hat dir von ihr erzählt.«
    Anna schweigt, was sollen Worte schon nützen.
    Nach einer Weile sagt sie doch etwas: »Ich habe versucht herauszubekommen, wo sie lebt. Beim Einwohnermeldeamt.«
    »So«, sagt ihr Großvater, ohne überrascht zu klingen.
    Anna ist unsicher, ob sie noch mehr sagen soll. Sie tut es. »Du weißt wahrscheinlich, dass Eeva tot ist.«
    Er nickt. »Die Stadt ist nicht besonders groß, natürlich habe ich es gehört. Ich hätte dieser Geschichte so sehr ein anderes Ende gewünscht. Eeva hätte es verdient.« Er seufzt.
    Anna sieht die Trauer in seinem Gesicht, die gleiche Trauer, die seinen Blick beherrscht, wenn ihre Mutter über die Pflegemaßnahmen für ihre Großmutter spricht.
    »Soll man die Individualität bewahren oder sie verringern und auflösen? Diese Frage hat mich seitdem nicht in Ruhe gelassen. Um was geht es bei der Liebe? Manchmal wollte ich, dass Eeva ein Teil von mir wird. Sie hatte andere Männer, jedenfalls in den letzten Jahren. Lebte ein freies Leben und war ihrer Zeit voraus. Allein der Gedanke an die anderen Männer reichte, um mir nichts so sehr zu wünschen, wie eins mit ihr zu sein.«
    Anna sagt, was sie für wahr hält: »Lieber die Individualität bewahren. Der andere muss der andere bleiben, auch wenn man sich nie ganz kennt. Das ist besser, als gleich zu sein.«
    Er lächelt. »Genau das sagt Elsa.«
    »Von ihr habe ich es auch.«
    »Ich glaube, ich habe Eeva nie ganz gekannt. Zwar so gut, wie man einen nahestehenden Menschen kennen kann, da bin ich mir sicher. Aber trotzdem ist sie mir letztendlich fremd geblieben. Ich weiß nicht, woher dieses Gefühl kommt.«
    Anna schaut in die hellgrüne Weite des Parks. Die Bäume verneigen sich. Die Leute ziehen ihre Jacken aus, spielen Frisbee und tragen so zum Sommer bei. Noch vor ein paar Tagen hätte sie in diesem Park nach Eeva Ausschau gehalten, hätte gedacht: Vielleicht die da?
    »Ich glaube schon, dass du sie gekannt hast«, sagt sie. »Da bin ich mir sicher.«
    Ihr Großvater schaut schrägt nach unten, als würde er ein sehr altes Bild betrachten, eine Jahrzehnte alte Erinnerung. Anna denkt: So ernst habe ich ihn noch nie gesehen.
    »Eeva ist unbeugsam gewesen, auf geradezu kindische Weise. Ich habe sie für naiv gehalten und es auf ihr Alter geschoben. Aber inzwischen denke ich, dass sie eine Überzeugung hatte. Und von der ist sie nicht abgewichen. Sie hat ihrer Überzeugung entsprechend gelebt.« Er lächelt, als würde er die Erinnerung an Eevas Eigensinn liebevoll bewahren wollen. »Liebe ist der einzige Weg, die Welt Wirklichkeit werden zu lassen, hat Eeva gesagt. Das schafft keine einzige Revolution, meinte sie. Ist das kindisch? Ich weiß nicht.«
    Ihr Eis ist gegessen. Rebekka und Aleksi sind aus ihrem Blickfeld verschwunden, und mit ihnen ihre noch nicht Wirklichkeit gewordenen Küsse, Streitereien, Annäherungen und Distanzierungen.
    Ihr Großvater lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht plötzlich aus, als würde er jeden Moment ein Liedchen pfeifen. »Gut. Wir haben uns ihre Liebe ausgedacht, möge sie ihnen gelingen. Damit erklärt die Beziehungskommission die Sitzung für beendet.«
    »Mögen sie glücklich sein.«
    »Und wenn sich die Welt zwischen sie drängt, wie sie es immer tut, dann mögen sie sich geduldig wieder aufeinander zubewegen, aber auch nicht zu sehr, denn – und das sei dem Protokoll hinzugefügt – der andere soll auch in der Liebe stets der andere bleiben.«
    »So wie bei dir und Großmutter.«
    Ihr Großvater lächelt. »Ja. So wie bei mir und Elsa.«

18.
    »SOLL ICH HIER sitzen?«, fragte Elsa als Eröffnung, leicht verlegen.
    »Warum nicht.«
    Sie hatten sich ausgestattet, als brächen sie zu einer Reise auf. Neben Butterbroten, Keksen und einer Thermoskanne mit Tee hatten sie sogar Musik dabei.
    Martti gefiel Elsas Verlegenheit, die sich in einem ganz speziellen Lächeln zeigte. Dazu der nach unten gerichtete Blick, der Kopf nach vorn geneigt. Meine alte Ehefrau, plötzlich ein schüchternes Mädchen, dachte Martti. Zärtlichkeit beschlich ihn, so übermächtig, dass er sich abwandte, um die Farbtöne zu überprüfen.
    »Über fünfzig Jahre, und jetzt willst du mich plötzlich malen.«
    »Ja, jetzt«, sagte er betont heiter, ohne Elsa anzusehen.
    »Na, dann los«, erwiderte

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