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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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einen improvisierten Rahmen aus alten Latten spannt. An reg­nerischen Tagen testet er im Schuppen neue Techniken, die er vor einem Jahr in Paris aufgeschnappt hat. Soll er versuchen, Ölmalerei und Fotografie zu kombinieren? Er hält seine Kamera für alle Fälle bereit, macht jedoch keine Aufnahmen.
    »Was tust du?«, frage ich ihn an der Tür, als die Gäste abgereist und noch keine neuen eingetroffen sind.
    »Ich übe«, sagt er, ohne mich anzusehen.
    »Üb doch mit mir, mir ist langweilig. Ella macht Mittagsschlaf, und wenn hier nicht bald etwas passiert, werde ich vom Regen weggespült wie Zucker.«
    »Gut. Dann setz dich«, sagt er.
    Er zeichnet meine Umrisse mit achtlosen, groben Strichen, weicher Bleistift auf rauem Papier, nichts weiter. Er denkt nicht an das Ergebnis, probiert einfach drauflos. Ich leiste ihm eigentlich nur Gesellschaft. Er zündet sich eine Zigarette an, inhaliert, schaltet das Radio ein. Ich lasse den Blick in das Buch sinken, das ich gerade lese.
    »So, genug«, sagt er nach einer Weile.
    »Wie ist es geworden?«, frage ich.
    »Eher Gekritzel.«
    »Hast du mich gemalt?«
    »Das sind nur Versuche.«
    Eine Stunde vergeht, manchmal zwei. Er mischt Farben, macht ein paar Pinselstriche. Vielleicht doch lieber mit Tinte, überlegt er, vielleicht kommen ihre Züge dann besser zur Geltung. Der Gedanke ist nicht zu Ende gedacht, ist sorglos, aber zärtlich. Gröberes Papier, denkt er, und beschließt, es später erneut zu probieren, wenn er noch Lust hat.
    Der Regen trommelt aufs Dach. Wir würden beide nichts an diesem Moment ändern, nicht einmal die Fliege stört uns, die mit ihrem winzigen Rüssel die Fensterscheibe abtastet.
    Regen, Blaubeersträucher im Wald, ein roter Eimer vor der Sauna, das Mädchen im Haus beim Mittagsschlaf. Wir hier, ohne weitere Absicht. Plaudernd, ohne Wichtiges zu sagen. Sollen wir am nächsten Tag einen Ausflug in die Stadt machen und die Post aus Töölö holen? Lieber doch nicht, sagt einer von uns. Vielleicht übermorgen, sagt der andere.
    Unkonzentriert, eine Zigarette im Mund, heiter; er wirkt, als wäre er gerade aufgrund seines lässigen, flüchtigen Blickes privilegiert, zu bleibenden Bildern vorzustoßen. Er denkt, dass er mich eher nicht malen wird, und fängt doch damit an.
    An einem dieser Tage, als die Sonne glüht und die Zeit nicht existiert, als man die Erdbeeren reifen hört, kommt Kerttu nach Tammilehto. Zwei Wochen waren wir schon auf dem Land, eine Woche bleibt uns bis Elsas Rückkehr. Ich habe weder an Elsa noch Kerttu gedacht, mir gehören der Himmel und die Gräser und die Erdbeeren, die Abende mit ihm und die Spaziergänge zum Kaufmann mit dem Mädchen. Kerttu kommt unerwartet, und sie bringt Pennanen mit, einen versoffenen Honorarprofessor für Soziologie.
    Ich habe Kerttu seit Ende Juni nicht mehr gesehen. Sie ist in Stockholm gewesen, hat sich wieder neu erschaffen. Gerader Pony, starker Kajalstrich, der Rock so kurz wie ein Topflappen. Stiefel trotz Hitze. Pennanen ist ein alter Bekannter des Mannes. Kerttu hat im Frühjahr seine Seminare besucht und ein oder zwei heftige Diskussionen auslösen können. Eigentlich müssten sie und Pennanen Feinde sein, aber manchmal werden Streithähne zu sonderbaren Freunden.
    Sie bringen ein gewaltiges Stück Schweinefleisch, Wein und Koskenkorva-Wodka mit. Pennanen streicht über das Fleisch und protzt, das beste Stück ergattert zu haben. Dabei schaut er Kerttu an. Kerttu schaut gereizt zurück, und ich weiß nicht, was zwischen ihnen ist, Hass oder Spott oder noch etwas anderes.
    »Heute geschlachtet«, sagt Pennanen. »Dann mal rauf auf den Grill.«
    Er raucht und trinkt ununterbrochen, gibt Gehässigkeiten von sich. Kerttu genießt es, Männer wie Pennanen korrigieren zu können. Sie streiten ständig, liegen sich bei jedem neuen Thema in den Haaren. Kerttu provoziert Pennanen ganz bewusst, er sie ebenso.
    Wir grillen das Fleisch am Ufer. Das Mädchen bittet Kerttu, ihm eine Erdbeerkette aufzufädeln, Kerttu ist sofort dabei. Sie sitzen auf der Veranda vor der Sauna und verraten einander Geheimnisse, die für keine anderen Ohren bestimmt sind.
    Der Mann schürt gerade die Glut unter dem triefenden Fleisch, und ich würze den Kartoffelsalat, als Pennanen zu seinem beschwipsten Vortrag anhebt: die Zukunft des Landes, die atomare Bedrohung, Vietnam, die Stellung der Frau, die Aufgabe der bildenden Kunst. Er ist genau der Typ, der nach ein paar Gläsern Wodka mit der Revolution kommt. Außerdem

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