Wahrheit (Krimipreis 2012)
er, und sie ist glücklich. Sie schreibt, sie habe Frieden gefunden.«
»Das ist wirklich schön«, sagte Birkerts. »Was für eine erhebende Geschichte. Vielleicht geh ich selbst mal beichten. Dann beichte ich, dass ich Sie hier herumalbern ließ, während Sie etwas Nützliches hätten machen können.«
»Und weiter?«, sagte Villani.
»Als Letztes schreibt sie, ein Pater Donald sei gekommen«, sagte Tomasic. »Er habe den Ring des Heiligen Vaters geküsst und ihr viele Fragen gestellt und gesagt, sie werde zur Rechten Gottes sitzen, weil sie Pater Cusack von dem Bösen erzählt habe. Der Sitz sei praktisch fest gebucht. Und besonders gesegnet. Jawoll.«
»Was ist mit der Linken?«, sagte Birkerts.
»Muslime wischen sich mit der Linken den Hintern ab«, sagte Tomasic. »Ausschließlich.«
»Den Ring zu küssen, das macht einem Sorgen«, sagte Villani.
Ihm war unbehaglich zumute, nicht nur, weil sie die Gegenstände
betrachteten, die eine alte Frau an den Ort mitgenommen hatte, wo sie sich auf den Tod vorbereitete, ihren letzten Besitz, die einzigen wertvollen Besitztümer unter all den Dingen, die sie in ihrem Leben erworben hatte, unter all den Tausenden von Dingen hatten nur diese für sie einen Wert, eine Bedeutung.
Aus seinem Leben würde er nicht viel zum letzten Aufenthalt mitnehmen. Das hier hatte etwas zu bedeuten. Irgendetwas sprach zu ihnen, aber sie kannten die Sprache nicht.
Villani dachte an seine Bäume, wie sie in den heißen Winden schimmerten, wie die sommergrünen Blätter an den Rändern braun wurden, die Poren schlossen, versuchten, sich in den Spätherbst zu versetzen, wenn kein Wasser verdunstete, die Kette von Wassermolekülen in den Ästen keine Feuchtigkeit mehr aus den Wurzeln zog, wie die Bäume sich einredeten, das hier überstehen zu können, wenn sie sich völlig ruhig verhielten und ihre Atmung kontrollierten.
Sie hatten ein wenig Hilfe verdient, seine Bäume.
Er sollte jetzt gehen, diesen Ort verlassen, durchdrungen von der Schlechtigkeit der Menschen, die hier gelebt hatten, in der Nähe gestorben waren, die es verdient hatten, zu sterben, er sollte aufbrechen und auf den langen Straßen in seine Heimat zurückkehren, sie würden ihn die Straßensperren passieren lassen, er konnte seine Uniform anziehen, sie würden sich nicht mit einem Inspector anlegen, sie würden ihn weiterfahren lassen.
Sein Handy.
»Mein Junge«, sagte Colby, »ich sage Ihnen, Sie sollen sich unter dem Bett verkriechen, und Sie ziehen los und behandeln einen Minister wie Abschaum. Zur Belohnung sind Sie zu einem Essen mit Miss Orong und dem Justizminister Signor DiPalma eingeladen. Wie hört sich das an? Eine Scheiß-Quinellawette beim Pferderennen.«
»Halte nichts von Quinella«, sagte Villani.
»Ich erinnere mich, dass Sie auch ohne Exoten schon tief genug in der Scheiße gesteckt haben«, sagte Colby. »Und jetzt sind Sie zum Scheißemagneten der Polizei geworden, ziehen die Scheiße magnetisch an. Die wollen Sie sofort sehen. Die erwarten Sie.« Er legte auf.
Colby wusste nicht mal annähernd Bescheid. Oder doch? Damals an dem Tag im Auto, auf dem Parkplatz hinter der Lygon Street, hatte Dance unter seinen Sitz gegriffen und Villani eine schwarz-weiße Myer-Einkaufstüte gegeben.
»Wenn man es übergibt«, sagte Dance, »sollte man darauf achten, dass kein Fototermin draus wird.«
Villani legte die Tüte in seinen Kofferraum. Später zählte er es, was so lange dauerte, dass ihm klar wurde, warum die großen Drogendealer Geldzählmaschinen benutzten. Ein paar Hunderter, Fünfziger, hauptsächlich Zwanziger, Zehner und Fünfer. Alles in allem dreißigtausend Dollar.
»Tja, alles sehr interessant«, sagte Villani zu Tomasic. »Sie haben den richtigen Riecher, Tommo. Aber wir brauchen nicht noch mehr Geschichten aus der Vergangenheit der Ribarics. Seien Sie bloß dankbar, dass sie keine Zukunft mehr haben. Es ist Zeit zu gehen.«
E ine junge Frau mit hellbrauner Haut und Nadelstreifenkostüm brachte ihn im Aufzug nach oben, einen langen Flur entlang voller Gemälde, Porträts. Sie öffnete eine Tür, winkte ihn hinein.
Hinter einem Schreibtisch saß eine Frau, tiefe Falten, die an der Nase begannen. Sie war eine Wächterin.
»Inspector Villani«, sagte die Begleitperson.
»Danke«, sagte die Wächterin.
Die Begleitperson ging. Die Wächterin nahm einen Telefonhörer ab und sagte: »Inspector Villani.«
Eine riesige getäfelte Tür ging auf, und ein aschblonder, mit Akten beladener
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