Wahrheit (Krimipreis 2012)
hinein.«
»Und das war nachts gegen halb eins?«, sagte Villani.
»Ziemlich genau, ja.«
»Was geschah dann?«
»Das Tor ging wieder runter«, sagte sie. »Und ein paar Minuten später ging es wieder hoch, das Auto fuhr rückwärts raus und weg.«
»Sie haben sich nicht zufällig das Kennzeichen gemerkt?«
»So gut sind meine Augen nicht. Außerdem habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Also, ich dachte, das ist aber eine komische Art, um in das Gebäude zu kommen, aber es sah nicht, nun ja, illegal aus. Ich dachte, es sei halt Personal.«
Dove betrachtete den Straßenverkehr. »Und das Fabrikat, die Farbe?«, sagte er.
»Schwarz«, sagte sie. »Aber das ist noch nicht alles.«
»Nicht?«
»Ich ging zwar zu Bett, konnte aber nicht schlafen und kam noch mal hierher, und da traf ein zweiter Wagen ein.«
Villani sah sie an. Sie fuhr sich mit den Handflächen über die Haare.
»Das Gleiche noch mal«, sagte sie. »Das Rolltor ging auf, das Auto fuhr hinein. Aber diesmal vergingen fast zwanzig Minuten, bis es wieder rauskam.«
In der Wärme hatte Villani ein Gefühl auf der Haut, als hätte sich die Tür zu einem eiskalten Raum geöffnet.
»Ist Ihnen die Uhrzeit aufgefallen?«, fragte Dove, er sprach zu schnell.
»Als ich rauskam, war es zehn vor zwei.«
Dove richtete den Blick auf Villani. »Das ist präzise. Sind Sie da sicher?«
»Ich bin auf ein Glas Milch in die Küche gegangen. Da hängt eine große Uhr. Wenn ich nicht schlafen kann, werde ich unruhig, daher… nun, ja, ich bin mir sicher. Er kam um Viertel vor zwei.«
Dove sagte: »Der Wagen fuhr um zehn nach zwei wieder weg?«
»Ja.«
»War es dasselbe Auto wie vorher?«
»Nein«, sagte Mrs. Keller. »Ein anderer Wagen. Aber auch schwarz. Der erste war leise, wie ein Mercedes oder ein BMW, so was in der Art. Dieser hier ratterte laut, diese großen Auspuffdinger, die konnte ich sehen. Wie Kanonenrohre.«
»Das Nummernschild haben Sie nicht gesehen?«
»Nein. Ich hab mir immer noch nichts dabei gedacht. Der Mann hatte eine Weste an.«
»Eine Weste?«
»Sie wissen schon. Unterhemd ohne Ärmel.«
»Ein ärmelloses Trikothemd«, sagte Villani. »Was hatte der erste Mann an?«
»Das weiß ich gar nicht. Voll bekeidet. Dunkle Kleidung.«
»Das hatte es vorher noch nie gegeben, dass jemand dort reinfuhr?«
»Hatte ich noch nie gesehen. Nein.«
Dove sagte ihr, was sie noch von ihr brauchten.
Villani überlegte, ob er eine Frage stellen sollte. Eigentlich war sie unsinnig, es fuhren tausende schwarze, ratternde, puckernde, aufgemotzte Muskelautos durch die Stadt, gelenkt von Muskelprotzen in Muskelshirts. Und doch und doch …
Er stellte Mrs. Keller eine schlichte Frage, keine Suggestivfrage.
»Drei«, antwortete sie. »Zwei vorn und eine hinten. In der Mitte. Kleine Antennen. Hilft Ihnen das weiter? Es fiel mir auf. Ich hätte es erwähnen müssen, nicht wahr?«
»Bin froh, dass es Ihnen auffiel, Mrs. Keller«, sagte Villani. »Solche Sachen können helfen. Und Sie waren in jeder Hinsicht eine große Hilfe. Wir stehen in Ihrer Schuld.«
»Na dann, danke sehr.«
Sie gingen durch das Wohnzimmer, in den Flur, beim Gehen sagte sie: »Heute Morgen habe ich gehört, wie Sie im Radio erwähnt wurden, Inspector. Karen Mellish. Sie sagte nette Dinge über Sie.«
»Ich bin für jede Nettigkeit dankbar, die man über mich sagt«, sagte Villani. »Was nicht oft vorkommt.«
»Ach, das tut es bestimmt. Kein Zweifel.«
Im Wagen, in höchster Anspannung, sagte Villani: »Sie befragen die Bewohner dieses Hauses, die ersten drei Etagen mit dem besten Blick. Vielleicht haben sie die Kennzeichen unter der Tür hindurch gesehen. Wahrscheinlich wohnen in dem Haus lauter Leute, die nicht schlafen können, die alles sehen. Das hätte man sofort machen sollen.«
Dove sagte: »Heißt das, ich hätte…«
Er verstummte.
»Als Chef«, sagte Villani, »kriegt man für die ganze gute Arbeit Punkte. Andersrum wird aber auch ein Schuh draus. Ich habe diesen Fall übernommen. Deshalb gebe ich mir die Schuld.«
»Nun, ich habe nicht darum gebeten, dass …«
»Und anschließend gebe ich Ihnen die Schuld«, sagte Villani. »Es muss auch gar nicht mit dem toten Mädchen zu tun haben. Vielleicht waren es nur Kokslieferungen.«
»Zeitlich passt alles wie die Faust aufs Auge zu den Telefonaten. «
»Mr. Bricknell«, sagte Villani. »Freund der oberen Zehntausend, Patron der Künste, Mitglied der Melbourne Group, hat acht Millionen Dollar an Buschfeuerspenden
Weitere Kostenlose Bücher