Wahrheit (Krimipreis 2012)
nicht entgangen«, sagte Colby. »Aber Inzest, das ist keine Barbiebremse, das ist so was wie: Barbie explodiert, sieben Tote. Wir müssen dabei die großen Zusammenhänge betrachten…«
Schweigen. Colbys Telefon klingelte, ein paar Worte, Grunzen, Blick an die Zimmerdecke, Wiederhören, er sah Villani an.
»Und wo ist sie jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Sagen Sie mir noch mal, dass es dummes Zeug ist.«
»Sie glauben mir nicht?«
»Sagen Sie’s.«
»Sie können mich mal.«
»Eindeutig verneint. Wahrscheinlich kann ich die Kampfhündin von der Jugendfürsorge unter Druck setzen, aber wir müssen sicherstellen, dass Ruskin dauerhaft Ruhe gibt. Glauben Sie, Ihr Frauchen kann das Mädel zur Vernuft bringen?«
»Vielleicht.«
»Na schön, wir finden sie. Stellen Sie sich weiter gut mit Searle. Hab keine Ahnung, warum er das macht.«
Villani nickte. Wenn er doch nur seinen Kopf an die Rückenlehne des Stuhls sinken lassen und einschlafen könnte, ein anderer das Kommando übernehmen und er sich wieder so fühlen würde wie damals, wenn der Kenworth an einem Freitagabend durch das Tor fuhr, er Bobs scharf geschnittenes Gesicht sah, das Lächeln mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln, den erhobenen Daumen. Es war, als hätten ihm Engel einen Sack mit Bleigewichten von den Schultern genommen.
»Da ist noch etwas«, sagte Colby. »Wie ich von Mr. Barry höre, glaubt man allgemein, Sie hätten beim Ficken mit Ms. Anna Markham über Stuart Koenig gesprochen. Stimmt das?«
»Das stimmt nicht.«
»Bezieht sich aufs Reden, nicht aufs Ficken, oder?«
»Wer observiert ihr Wohnhaus? Oder observiert sie?«
»Woher soll ich das wissen? Wer würde mir so was verraten? Fragen Sie Ihren Kumpel Dance.«
»Crucible?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Eine Ahnung habe ich aber, was Greg Quirk angeht. Jetzt wird abgerechnet, mein Junge. Wenn diese Leute wieder an die Macht kommen, wird der Fall neu aufgerollt. DiPalma will Sie in die Mangel nehmen, bis Ihr Ohrenschmalz schmilzt und Sie für zwanzig Jahre in den Knast gehen, und dann wird’s erst richtig lustig. Ich glaube natürlich zuversichtlich, dass Sie, Dancer und dieser verdammte Vickery beim ersten Mal nicht geschwindelt haben.«
Villani sah Colby an. Er schien weniger Falten um die Augen, eine glattere Stirn zu haben. Oder doch nicht?
»Die Prosilio-Nutte«, sagte Colby. »Soviel ich weiß, lag der Fall im Giftschrank.«
»Ist offen, da wird ermittelt.«
»Klar. Aber im Giftschrank.«
»Hab den Giftschrank vergessen, Chef.«
»Stephen, nur ein hirntoter Volldepp vergisst den Giftschrank. Ist das klar?«
»Ja, Chef.«
»Und Sie sollten jetzt die Heilige Jungfrau persönlich mehrere Stunden pro Nacht anflehen, dass die Wähler es diesen Ärschen besorgen. Und tagsüber lassen Sie die Hände aus den Hosentaschen und tun nichts, um die Penner zu verärgern.«
Koenig war da gewesen, als das Mädchen getötet wurde. Diese Gewissheit spürte Villani bis ins Mark. Von wegen, er sei zu Hause in Portsea gewesen. Das stimmte nie und nimmer. Er war in Kew gewesen. Wie oft hatte Koenigs Frau schon ihm zuliebe gelogen? Bricknell rief ihn an, er fuhr ins Prosilio, parkte in der Tiefgarage. Ein Mädchen pro Mann.
E r nahm die Feuertreppe, unzählige Stufen, musste Türen aufstoßen, fand seinen Rhythmus, überlegte sich beim Gehen, was der Job ihm bedeutet hatte, und erinnerte sich an den Augenblick, als er sich in Singos Sessel zurücklehnte und dachte: Stephen Villani, Leiter des Morddezernats, und zwar zu Recht.
Bob machte es nicht stolz, dass er Chef des Morddezernats war. Ein Copjob, mehr nicht. Weit unter einem Vorarbeiter, Schichtleiter oder irgendeinem Nachtaufseher angesiedelt. Doch das Beste, was sein zweitbester Sohn tun konnte. Zweitbester, bis Luke auftauchte, dann drittbester Sohn. Nichts als ein nützliches Lebewesen, ein Koch, Wachhund, Klamottenwäscher und -bügler, Überprüfer von Hausaufgaben, Lese- und Rechtschreibtutor, Versorger von Hunden und Pferden, leitender Ausmister, Trainingsreiter, Bäumepflanzer und -wässerer.
Du bist nicht der Doktor, Junge, du bist der Scheißcop.
Mark.
Mark war Bobs Lebensleistung, sein Erfolgsmodell, der Beweis, dass seine Spermien Intelligenz in sich trugen. Mark konnte nichts falsch machen, über Mark wollte er nichts Schlechtes hören, Mark war von allem befreit, was Mark nicht machen wollte.
Mit Mark löste er Kreuzworträtsel.
Bob hatte Villani noch nie eine Kreuzwortfrage gestellt. Kein einziges
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