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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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folgte der Schwester zu dem letzten Bett links.
    Die Schwester sagte laut: »Mrs. Quirk. Besuch.«
    »Wer?«, fragte Rose hinter den Vorhängen.
    »Ich. Stephen.«
    »Na, komm schon rein in das blöde Zelt«, sagte Rose.
    »Sie liegt noch nicht in den letzten Zügen?«, fragte Villani die Schwester.
    »Noch nicht ganz.« Sie schob einen Vorhang beiseite.
    Rose lag auf zwei Kissen, den Kopf bandagiert, das Gesicht von entsprechender Farbe. Ihr rechter Unterarm war bis zu den ersten Fingerknöcheln eingegipst.
    »Herrje, Ma«, sagte Villani. »Du musst mit diesen ständigen Schlägereien aufhören.«
    Sie zog die Mundwinkel nach unten. »Der kleine Mistkerl hat mich über den Haufen gefahren. Warum hast du so lange gebraucht?«
    »Nun mach mal ’n Punkt«, sagte Villani. »Hab die Nachricht
erst vor zehn Minuten bekommen. Du hättest ruhig sagen können, dass du wohlauf bist, statt mir so einen Schrecken einzujagen.«
    Rose machte ein Geräusch, verärgert. »Wahrscheinlich dachtest du, fort mit Schaden, blöde alte Schachtel.«
    Villani setzte sich auf einen Formschalenstuhl. »Klar, das hab ich gedacht. Was ist mit deinem Kopf passiert?«
    »Ist das nicht unfassbar?«, sagte Rose. »Der eine kleine Scheißer fährt mich um, der andere steht auf einem Skateboard. Als ich sterbend daliege, rollt er mir über den Kopf.«
    »Wer hat dich gerettet?«
    »Nachbarin von gegenüber kam und hat mir ’n Kissen unter den Kopf geschoben, meine Hand gehalten.«
    »Wollte wohl vermeiden, dass die einzige Lieferantin von Gratisgemüse in der Straße den Löffel abgibt«, sagte Villani. »Ist der Arm gebrochen?«
    »Nö, das Handgelenk.« Rose reckte den Hals in seine Richtung. »Hör mal, Stevie, ich kann hier nicht bleiben, will hier nicht sterben, der Laden ist eine verdammte Bazillenbrutstätte. Sag denen, sie sollen mich nach Hause lassen. Auf dich werden die hören. Bist schließlich Inspector.«
    »Inspector beeindruckt die Ärzte nicht«, sagte Villani. »Es beeindruckt eigentlich gar keinen.«
    »Bitte, mein Lieber.«
    Rose streckte ihm die linke Hand entgegen. Er nahm sie, Hühnerknochen in einem Hautbeutel, hielt sie ungelenk in seinen beiden großen Händen.
    »Sie erzählen mir diesen ganzen Gesundheitsquatsch«, sagte sie. »Blutdruck ist zu hoch. Auf meinem Herz lastet so ein Gewicht, es ist ein Wunder, dass es mir nicht aus den Ohren geflogen kommt.«
    »Ich werd Druck machen, Ma«, versprach Villani. »Ich hol dich hier raus. Dann können sich diese mobilen Krankenschwestern um dich kümmern.«

    »Die brauch ich nich«, sagte Rose. »Ich bin erledigt. Als mich das kleine Arschloch umgefahren hat, sah ich meine Seele aus dem Körper schweben.«
    »Zigarettenrauch«, sagte Villani. »Kam aus der Lunge. Wird Zeit, ein bisschen weniger zu paffen.«
    Sie zeigte auf den Blechschrank neben dem Bett, blinzelte ihm zu. »Hol meine Tasche. Wir rauchen ein Zigarettchen.«
    »Nein, Ma. Nur deshalb wolltest du mich hierhaben. Ich muss los, mich um die Toten kümmern, du gehörst zu den Lebenden.«
    Rose seufzte. »Stevie, Stevie«, sagte sie, »tust du mir einen Gefallen?«
    »Worum geht’s?«
    »Kann ich dir trauen? Polizistenabschaum.«
    »Hängt davon ab. Vielleicht. Nein. Worum geht’s?«
    »Ich hab Angst wegen dem Geld.«
    »Was für Geld?«
    Sie legte den Kopf aufs Kissen, schloss die Augen, Lider aus alter Seide. »Schatzkästchen. Gespartes. Rücklagen.«
    »Auf der Bank?«
    Sie schlug die Augen auf. »Herje, Mann, sieh die Welt endlich mal, wie sie ist. Unter dem Küchentisch, da kann man das Linoleum hochheben. Da ist eine Falltür, man steckt ’n Messer rein.«
    »Ja?«
    »Und mach ja meine Messer nicht kaputt. Ein Schatzkästchen. «
    »Ja?«
    »Bewahrst du das für mich auf, mein Junge? Ich hatte ’n Albtraum, Haus brennt ab, alles Asche. Wie beim Schwarzen Samstag, ich latsche da rum, hebe ’ne verkohlte Tasse auf. Versprochen?«
    »Ist das Haus verschlossen?«
    »Hab’s abgeschlossen. Hol meine Tasche.«

    Villani öffnete den Schrank, nahm ihre Tasche vom obersten Regal.
    »Jib«, sagte sie. »Jib.«
    »Ich bin so dämlich«, sagte Villani, »ich sollte Polizist werden. Schatzkästchen, Blödsinn. Du willst deine Glimmstängel, stimmt’s? Vergiss es, Ma.«
    Ihre Augen schlossen sich in Zeitlupe. »Nimm die Schlüssel, Stevie«, sagte sie leiser. »Fahr hin und hol mein Kästchen.«
    Villani fand die Schlüssel, legte die Tasche wieder in den Schrank.
    »Wird erledigt«, sagte er. »Keine Bange, Rosie.

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