Wahrheit (Krimipreis 2012)
Wasserstrom in dem Fallrohr der Dachrinne.
Sein Vater musste ihn nicht wecken. Als er in den zinngrauen Tag trat, war Bob schon da, Shorts, bloßer Oberkörper, nichts als Rippen und Knochen, Sehnen und Muskeln.
»Du hättest nicht aufstehen müssen«, sagte Villani.
»Hast du den Regen gehört?«
»Hat mich geweckt.«
»Ja. Hat nichts gebracht, wir brauchen einen Dauerregen.«
»Die Finanzen«, sagte Villani. »Kommst du klar?«
Bob Villani spannte die Arme an. »Wieso nicht?«
»Ich frag ja nur.«
»Das mit dem herrischen Auftreten«, sagte Bob.
»Deswegen mach ich mir keinen Kopf«, sagte Villani.
»Das lag an der Situation damals, dass du dich um die kleinen Scheißerchen kümmern musstest.«
»Das verdammte Haus kannst du abfackeln lassen«, sagte Villani, »aber wenn der Wald abbrennt, dann gnade dir Gott.«
Sie gaben sich die Hand, nur eine leichte Hautberührung. Er wollte seinen Vater umarmen, wie Luke es getan hatte, und ihm etwas geben, als Beleg, dass auch er ein würdiger Sohn war, doch das war unmöglich.
Vor den ersten Sonnenstrahlen, es war noch kühl draußen, fuhr er Selbornes kurze Hauptstraße entlang. Unter der einzigen Ulme vor dem Pub schlief ein Mann auf der Ladefläche seines Pick-ups, in eine graue Decke gehüllt, aus der ein nackter, marmorweißer Fuß ragte. Seinen Kopf umgab ein verwackelter Halbkreis aus leeren Bierflaschen.
Auf der Landstraße machte Villani das Radio an.
… heute treffen Feuerwehrleute aus Westaustralien ein, um die erschöpften Einsatzteams bei der Rettung dreier bedrohter Ortschaften im Hochland zu unterstützen…
Als das Handy klingelte, waren die Hochhäuser in Sicht, er steckte im frühmorgendlichen Pendlerverkehr, lauter glatt rasierte Männer mit schmalen Augen, die von dem weit entfernten Freitagnachmittag träumten.
»Villani«, sagte er.
Birkerts sagte: »Drei Tote, in einem Lagerhaus in Oakleigh. «
»Drei?«
»Ja. Ziemlich finstere Angelegenheit.«
E s roch wie in einem Schlachthaus, nach Exkrementen, Pisse, Blut und Angst.
Flach atmend trat Villani über das schwärzliche Rinnsal und stand nun im Inneren des riesigen Lagerhauses aus Blech. Durch die Türöffnung fiel Licht auf einen Mann, der gleich vorn auf dem Bauch am Boden lag, seine Körperflüssigkeiten hatten einen kleeblattförmigen Umriss gebildet, ehe sie unter der Tür hindurch ins Freie flossen.
Zehn Meter entfernt, an einer Seitenwand, hingen schlaff an stählernen Dachholmen zwei Männer, die Hände über ihren Köpfen mit Gewebeklebeband gefesselt. Sie waren nackt, mit getrocknetem Blut bedeckt, die Füße in schwarzen Pfützen.
»O Gott«, sagte Villani. »Unfassbar.«
Er nahm den langen Weg zu dem ersten der Männer, immer an der Wand entlang, blieb ein gutes Stück vor ihm stehen.
Der Mann war braun gebrannt, muskulös, stramme Waden, kleine Wampe, Spuren an den Armen. Anscheinend hatte man ihm die Haare abgefackelt, die Genitalien abgeschnitten, etwas Fleischiges lag auf dem Beton, der Schädel glich einem eingetretenen, in Blut getunkten Kohlkopf, Zähne glänzten. Die Blechwand hinter ihm wies Spuren eines zähflüssigen Materials auf, an dem Fleischbrocken klebten.
Villani ging zu dem zweiten Mann. Er war blasser, größerer Schmerbauch, Halbkreis aus Narbengewebe unter der linken Brustwarze. Gesicht und Genitalien auf gleiche Weise malträtiert.
Er sah sich um. Das Lagerhaus war ein Autoschrottplatz – überall lagen ausgeschlachtete Fahrzeuge, Türen, Motorhauben, Windschutzscheiben, Radfelgen, Kolben, Sitze, Armaturenbretter, Lenkräder und Motorteile herum, als wären sie vom Himmel gefallen.
Hinter ihm räusperte sich Birkerts. »Spurensicherung kommt in zwei Minuten. Dito Rechtsmedizin.«
»Dann hauen wir ab.«
An der Tür, es war totenstill, hörte Villani etwas, und als er hochschaute, sah er einen torkelnd flatternden Star, der gegen die silbrige Decke geprallt war.
Sie gingen durch die Tür, die Uniformierten machten ihnen Platz, und draußen stellten sie sich auf den betonierten Vorplatz und sogen die schmutzige, doch jetzt so saubere Stadtluft ein. Birkerts bot ihm eine Zigarette an, sie rauchten.
Gaffer säumten den Zaun seitlich des Geländes, Arbeiter von der Autowerkstatt nebenan.
»Scheiße«, sagte Birkerts. »Es geht immer noch schlimmer. «
»Wer hat sie gefunden?«
»Wachmann. Er ging am Zaun entlang, sah das Blut, kam zur Straßenseite des Gebäudes, Tür stand offen, niemand da, er ging rein und sah sich um. Er steht
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