Wahrheit (Krimipreis 2012)
den Brustkorb, belastete ihn ein bisschen, stellte seinen Schuh weiter oben auf die Luftröhre und drückte, klopfte, man wollte keine Spuren auf dem Wichser hinterlassen.
»Ich habe dich gesucht, mein Junge«, sagte er. »So lange habe dich gesucht. Dich und deine beschissenen Blunnies.«
Sie nahmen die Vernehmung von Jude Brendan Luck um null Uhr siebenundvierzig auf Band. Als sie etwas später Lucks Geschichte dem Größeren der beiden erzählten, Shayne Lethlean, gestand er alles. Sie holten die beiden anderen Jungs ab, die Brüder, zwei Jahre auseinander, rotblonde sommersprossige Engel, die im Tiefschlaf auf dem Boden der Garage neben dem Haus ihrer Schwester in Braybrook lagen, sie wachten nicht auf, als die Garagentür hochgeschoben wurde, man musste sie schütteln, ihnen Schläge verpassen, manchmal machte der Job Spaß.
Villani wachte auf, voll bekleidet, nicht erholt, als wäre er kurz ohnmächtig geworden, der neue Tag graute hinter dem Fenster im Osten, die Stadt stieß ihre disharmonischen Geburtsschreie aus.
C orin aß Cereal. Sie war fertig angekleidet, hatte die feuchten Haare nach hinten gekämmt, sah aus wie zwölf oder dreizehn, wären da nicht die Nase, der Hals, die kräftigen Schultern gewesen.
»Früh dran?«, sagte Villani, flüsterte fast.
»Vorstellungsgespräch«, sagte sie. »Halb sieben.«
Im dritten Jahr auf der Universität, so pfiffig, sie war immer klug gewesen. Er konnte es nicht fassen, dass seine Spermien bei ihrer Entstehung eine Rolle gespielt hatten.
»Wo?«
»Slam Juice. Lygon Street.«
»Vorstellungsgespräch im Morgengrauen?«
»Es ist ein Test. Wann kommt Mum wieder?«
Er warf einen Blick in den Kühlschrank. »Keine Ahnung. Meine Güte, hier muss man mal mit ’nem Hochdruckreiniger ran. Redest du nicht mit ihr?«
»Und du?«
»Ruft sie dich nicht an?«
»Sie arbeitet, Dad. Rufst du mich an?«
Toast. Vegemite-Hefepaste. Erdnussbutter. Das musste reichen.
»Was von Tony gehört?«
»Er ist in Schottland. Weißt du das nicht?«
»Schottland? Ich dachte, er wär in England.«
»Er ist auf einer Insel, arbeitet auf einem Fischerboot.«
»Das hat mir keiner erzählt.«
»Vielleicht hast du nicht zugehört, Dad. Warst beschäftigt.«
»Nun mach mal halblang«, sagte Villani. »Ich bin auch nur ein Mensch. Hat Lizzie mit ihrer Mum geredet?«
»Ich hab keine Ahnung.«
Corin ging zur Spüle, er sah die melancholische und zauberhafte Krümmung ihrer Nase, es war das Profil seiner Mutter auf einem der beiden Fotos, die er mit ihrem Brief aufbewahrte.
»Na, dann frag sie«, sagte Villani. »Vielleicht ist sie eingeweiht. «
Er schnitt Brot, es war gutes, inzwischen ein wenig altbackenes Brot, er schnitt drei Scheiben ab, ging zum Toaster.
Schweigen.
Er schaute auf, Corin trocknete sich die Hände.
»Was ist?«, fragte er.
»Ich kann nicht mit ihr reden«, sagte Corin.
»Mit deiner Mum?«
»Nein. Mit Lizzie.«
»Seit wann?«
»Schon lange nicht mehr. Sie ist eine Fremde geworden.«
»Hast du das deiner Mum gesagt?«
»Dad, du hast zu dieser Familie überhaupt keinen Kontakt mehr.«
Er drückte den Hebel am Toaster runter.
Corin sagte: »Hab sie gestern Nachmittag in der Nähe des Markts gesehen. So gegen halb vier.«
»Und?«
»Mit Pennern. Zugedröhnt. Sie ist ausgestiegen, endgültig.«
Es hatte schon einmal eine Phase gegeben, in der sie die Schule schwänzte. Wie lange war das her? Monate? Ein Jahr?
»Ich dachte, dieser Mist wär vorbei«, sagte Villani. »Ich dachte, sie hätte sich wieder beruhigt.«
»Nein, Dad. Die Schule will sie rauswerfen.«
»Oje«, sagte Villani. »Das wusste ich nicht.«
Corin packte Teller und Löffel weg. Schweigen.
»Warum?«, sagte Villani. »Warum hat man mir nichts gesagt? «
»Dad, du schläfst hier nur, du schwebst über dieses Haus hinweg wie ein Wolkenschatten.«
Corin verließ den Raum. Er wartete, dann hörte er die Haustür ins Schloss fallen. Sie hatte ihm immer einen Abschiedskuss gegeben. Nie war sie ohne Kuss gegangen. Oder etwa doch? Vielleicht hatte sie schon vor langer Zeit damit aufgehört?
Der Toaster machte klick, der Toast schoss nach oben. Er nahm die verbrannten Scheiben heraus, falsche Einstellung. Er warf sie in den Müll.
Er ging den Flur hinunter und öffnete Lizzies Tür, das dunkle Zimmer lag auf der kühlen Seite des Hauses, schale Luft, Atemgeruch, sauer und leicht süßlich. In der Bettlandschaft zeichnete sich eine kleine, gebogene, zerklüftete Erhebung ab. Er sah
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