Wahrheit (Krimipreis 2012)
Sofort.«
»Die Typen könnten möglicherweise aufbrechen«, sagte Birkerts. »Sind wir darauf vorbereitet?«
»Inspector Kiely?«, sagte Villani.
»Sie sagen, sie wären gerade ziemlich überlastet und dachten, sie hätten mehr Zeit.«
Villani sagte: »Drei Tote, ist das nicht dringlich genug? Ich bringe auch das letzte dieser Arschlöcher eigenhändig um, wenn wir die beiden verlieren.«
Der zweite Mann hatte das Zimmer verlassen. Vor der Küchenbeleuchtung zeichnete sich Kidds Umriss ab. Er hatte den Kopf leicht abgewandt, sodass sie sein Profil sahen, den ausgeprägten Wulst über den Augen. Er sprach in ein Handy, steckte es weg, durchquerte das Zimmer, schob die Balkontür auf, trat ans Geländer, sah auf die Straße, legte die Hände
hinter den Kopf, schwenkte den Oberkörper von einer Seite zur anderen.
»Nach unten«, sagte Villani.
Die Straße, nichts bewegte sich.
»Rauf.«
Kidd rieb sich mit beiden Händen Gesicht und Kopfhaut, schaute auf die Uhr, ging wieder rein, schloss die Tür, verließ das Wohnzimmer. War nicht mehr zu sehen.
»Er geht nicht aus, würd ich sagen«, sagte Birkerts.
Sie beobachteten die leeren Zimmer. Villani spürte die Anspannung, an der Kopfhaut, um den Mund. Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er.
Sie warteten. Eine Minute. Zwei Minuten.
Villani wusste Bescheid. »Scheiße, sie sind weg«, sagte er.
Sie waren einfach aus der Haustür marschiert, und niemand war da.
Sie schafften es vielleicht gerade noch bis zu dem Prado, ehe der Wagen wegfuhr.
»Wir müssen unsere eigene SOG sein«, sagte er.
Er rannte zur Tür, die Treppe runter, hörte Winter und Tomasic hinter sich.
S ie gingen einen halben Block weiter unten auf die andere Seite.
Er schickte Tomasic einmal um den Block herum, die Straße zustöpseln. Mit Winter im Schlepptau ging er die Straße runter, lief die schmale Auffahrt zu Kidds Wohnhaus hoch, hielt vor der Ecke an, spähte umher, mit einem Auge.
Zwei Sicherheitsleuchten beschienen den kleinen Parkbereich, vielleicht ein Dutzend Autos, der Prado am Ende, dahinter eine hohe Mauer.
Noch nicht weg. Sie waren noch in dem Gebäude.
Villani zog seine Glock. Er hatte einen trockenen Mund. »Ich übernehme die Tür«, sagte er. »Sie nehmen die Feuertreppe. «
Winter sagte: »Chef.«
Als Villani sich in Bewegung setzte, ging die Hintertür auf, und eine Gestalt sprang die drei Stufen hinunter, ein großer Mann, großer Oberkörper.
Kidd.
Villani rief: »POLIZEI! KEINE BEWEGUNG!«
Kidd sah sich um, ging weiter. Villani nahm ihn ins Visier, beidhändig.
Greg Quirk kam ihm in den Sinn. Er schoss nicht.
Eine Waffe in Kidds Hand, er war Linkshänder, was keiner bemerkt hatte. Rotviolettes Mündungsfeuer, zwei, drei Kugeln prallten über ihnen von der Mauer ab, Villani verlor das Gleichgewicht.
Kidd lief über das offene Gelände, schnell für einen so großen Mann, Villani wollte ihn wieder ins Visier nehmen, der Mann lief auf die Fahrbahn zu, änderte die Richtung, sprang auf die Motorhaube eines Wagens, nahm Schwung wie auf einem Trampolin, brachte beide Hände auf die Mauerkrone. Er hievte sich hoch, schwang das rechte Bein rüber.
Weg war er.
Villani sagte zu Winter: »Sagen Sie ihnen, Zielperson ist über die hintere Mauer, wir folgen.«
Er rannte los, Waffe ins Holster, stieg auf die Motorhaube eines VW, Lauries Modell, das fiel ihm auf, kletterte auf das Fahrzeugdach.
Irrsinn. Kein Kinofilm, das war SOG-Arbeit.
Er sprang an der Mauer hoch, zog sich nach oben.
Kein Kidd.
Der schmale Hinterhof irgendeiner Firma, eine gläserne Mauer, das Haus unbeleuchtet, ein langes Trainingsschwimmbecken, grün schimmernd wie das Innere einer Welle im Hochsommer.
Über die Mauer und auf die andere Seite?
Er hatte Angst. Doch er hatte bei der Sache Scheiße gebaut, und jetzt blieb nur noch, keine Angst zu zeigen.
Mach nie einen Schritt zurück, mein Junge. Ist nicht gut für die Seele.
Kidd würde sich hier nicht aufhalten, Kidd würde laufen, möglichst weit wegwollen, einen Wagen nehmen, hier brauchte er vor nichts Angst zu haben.
Villani schwang sich hinüber. Er tat sich an den Eiern weh, blieb hängen, fiel einen guten Meter tief, landete hart, die Knie knickten ein, er verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten weg, rollte weiter, die Pistole drückte gegen seine unteren Rippen.
Er rappelte sich auf, löste den Clipverschluss, nahm die Waffe heraus, ging am Rand des Beckens entlang. Wie war
Kidd hier
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