Wahrheit (Krimipreis 2012)
Eis klirren, trank, horchte auf das Haus, die Straße, weiter Entferntes. Leise Musik, Klavier.
Müde, er nickte ein, sollte etwas essen. Wann hatte er zuletzt gegessen? Frühstück mit Rose. Furchtbares Brot, aber alles andere war gut gewesen – die Rühreier, seine Kirschtomaten in der Pfanne geschmort, bis sie platzten, die Säfte.
Lizzie. Warum hatte er sie so früh aus seinem Leben verbannt? So wenig für sie empfunden? Selbst jetzt war sein intensivstes Gefühl Unmut, empfand er es als Verrat. Warum ging Tony ihm nicht häufiger durch den Kopf? Für Tony
hatte er sich engagiert, so gut er konnte. Für Tony hatte er Zeit gehabt, er war ein anständiger Vater gewesen. Auf seine Art.
Er nahm Tony mit zu Carlton-Heimspielen, als er noch winzig war, packte ihn in einen Rucksack. Eigentlich war er für Fitzroy, doch das war nie ernst gewesen, und als er in Carlton stationiert war, wurde er allmählich Anhänger der Blues. Man brauchte ein Team. Man konnte nicht sagen, das interessiere einen nicht. Cashin begleitete sie zu den Footballspielen. Er war zwar Fan von Geelong, doch er ging mit. Manchmal kam auch Laurie mit, aber nur ihm zuliebe.
Bob Villani war Footy egal, nie sprachen sie über Football, als Villani klein war, sie hatten kein Lieblingsteam. Eines Tages hatte Villani ihn gefragt.
»Für wen sind wir, Dad?«
Bob las gerade sein Buch, eine Lyrikauswahl, The Faber Book of 20th Century Verse , Schutzumschlag aus braunem Papier mit großen Fettflecken, er nahm es auf seinen Touren im Laster mit.
»Wie, sind?«
»Footy. Die anderen fragen mich, für wen wir sind.«
»Fitzroy«, sagte sein Vater, ohne aufzuschauen.
»Warum, Dad?«
»Die brauchen jede Unterstützung, die sie kriegen können. «
Dass Bob Football gespielt hatte, erfuhr er erst, als er das Foto des Levetts Creek Football Club Premiership Team aus dem Jahr 1960 entdeckte, fünfzehn Männer und drei Jungs. Über zweiundzwanzig Jahre später fuhren sie wegen eines Mädchens dorthin, durchgeschnittene Kehle, es war ein finsteres Kaff, Vokuhilas, ramponierte Pick-ups, vermöbelte Frauen und Bierkartons, die platt gegen Zäune geweht waren. Er sah die Gesichter auf dem Foto, die Söhne und Enkelsöhne. Damals waren sie Holzfäller und Sägewerksarbeiter,
dem Mann, der den Ball hielt, fehlten an der rechten Hand zwei Finger.
Auf der Rückseite hatte jemand mit lila Buntstift geschrieben: Robert Villani (Mittelläufer).
Vielleicht sechzehn, kurze Haare, ein Kinn wie gemeißelt, lange Oberarme, Prellung am rechten Wangenknochen, so groß wie die Männer in seiner Reihe und halb so breit. Und die Augen, sie spiegelten das Licht.
Eines bitteren Samstags, Tony war sieben, legten sie dem Jungen den marineblauen Schal um den Hals und fuhren in den Princes Park, um Carlton gegen die Bombers spielen zu sehen, trafen dort Cashin.
In der Kassenschlange sagte Tony: »Die Bombers sind mein Team.«
Sie sahen ihn an.
»Die Blues sind dein Team«, sagte Villani.
»Nein«, widersprach Tony. »Die Bombers.«
Er nahm seinen Fanschal ab. »Den trägst du, Dad.«
Das hätte Villani Bob nie antun können. Auch jetzt konnte er das Bob nicht antun. Es hatte etwas mit Tapferkeit zu tun. Warum hatte er das Tony nie gesagt?
Sinnlos. Er würde es sich nie und nimmer merken. Es hätte für ihn keine Bedeutung.
Warum rief Tony ihn nie an? Schottland, er war in Schottland, auf einer schottischen Insel. Wie mochte Schottland sein? Das Heidekraut auf den Hügeln. Was war Heidekraut? Wie es wohl war, ein neunzehnjähriger Australier in Schottland zu sein?
Er war achtzehn gewesen, als er nach dem Kurs seinen ersten Rundgang in Uniform machte, ein Junge vom Land, mit offenem Mund, aufgeregt. Damals war die Stadt nicht gefährlich. Gras war die Straßendroge, ein wenig Heroin, Koks galt als ausgesprochen schickimicki. Gegen Mitternacht war Schluss mit Nachtleben. Man konnte betrunken nach Hause
fahren und musste schon einen Streifenwagen rammen, damit die Polizisten einen Bluttest machten.
Die Cops unterhielten sich nur über Festnahmen wegen Marihuanabesitzes, bewaffnete Raubüberfälle, illegale Glücksspiele, wie die Spaghettis um die Kontrolle des Victoria Market kämpften, wie die Schauerleute darum kämpften, wer auf den Docks was klauen durfte.
Das Berufsbild änderte sich schleichend. Mehr Menschen liefen zugedröhnt herum, setzten sich auf der Straße, in Einkaufszentren, Bahnhöfen, Parks und Kirchen ihre Spritzen. Mehr dämliche Einbrüche, hirnverbrannte
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