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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zu - »ich kann nicht. Ich kann einfach nicht, nicht jetzt.« Ich bin schon fast aus dem Arrestbereich, drehe mich aber im letzten Moment um und gehe zu der Zelle zurück. »Ist sie deine Tochter?«
    »Natürlich ist sie meine Tochter!«
    »Natürlich?« zische ich. »Herrgott, Andrew, ich habe soeben erfahren, daß du ein Kidnapper bist. Ich muß Delia sagen, daß du ein Kidnapper bist. Ich finde eigentlich nicht, daß die Frage ungerechtfertigt ist.« Ich hole tief Luft. »Wie alt war sie?«
    »Vier.«
    »Und in achtundzwanzig Jahren hast du ihr kein Wort davon gesagt?«
    »Sie liebt mich.« Andrew blickt zu Boden. »Würdest du das aufs Spiel setzen?«
    Ohne eine Antwort drehe ich mich um und gehe.
    Als ich elf war, habe ich gemerkt, daß Delia Hopkins weiblich ist. Sie war nicht wie andere Mädchen: Sie hatte keine verträumte, schnörkelige Schrift, sie kicherte auch nicht hinter vorgehaltener Hand, so daß wir uns fragten, was wir falsch gemacht hatten. Sie kam nicht mit adretten, fest geflochtenen Zöpfen zur Schule. Statt dessen sprach sie mit Fröschen. Sie konnte den Puck von der Blauen Linie mit einem Schlagschuß ins Tor befördern. Sie ritzte sich als erste mit Fitz' Fahrtenmesser die Hand auf, als wir drei Blutsbrüderschaft schlossen, und sie zuckte dabei nicht einmal mit der Wimper.
    In dem Sommer nach der fünften Klasse veränderte sich alles. Ohne daß ich es wollte, roch ich Delias Haar, wenn sie neben mir saß. Ich bemerkte, wie sich ihre gebräunte Sommerhaut über ihren Schulternmuskeln spannte. Ich beobachtete sie, wenn sie das Gesicht in die Sonne drehte und spürte, wie mein Körper reagierte.
    Ich behielt diese Gedanken für mich, bis die Hälfte der sechsten Klasse um war, bis zum Valentinstag. Zum ersten Mal in der Schule mußten wir nicht für alle in der Klasse eine Karte mitbringen. Die Mädchen flatterten durch die Mensa wie Schmetterlinge und landeten immer nur ganz kurz, um den Jungs, die sie mochten, einen Kuß auf die glühenden Wangen zu drücken.
    Wenn du der Auserwählte warst, tatest du angewidert, aber in dir drin brannte es heiß.
    Fitz bekam eine Karte von Abigail Lewis, die ganz frisch eine im Dunkeln leuchtende Zahnspange bekommen hatte und sich, so wurde gemunkelt, mit Jungs in die Gerätekammer des Hausmeisters schlich, um ihnen die Lichtshow zu zeigen. Ich selbst hatte in der Gesäßtasche ein gefaltetes rosa Herz, das ich auf ein Stück rote Pappe geklebt hatte. Wenn du bei mir bist, schrillt in meinem Kopf eine Sirene , hatte ich darauf geschrieben und dann hinzugefügt: Wie bei einem Lkw, der zurücksetzt.
    Ich wollte das Herz Delia schenken, doch zigmal am Tag ergab sich einfach kein passender Moment - Fitz war bei uns oder sie stöberte gerade in ihrem Spind herum oder der Lehrer kam ausgerechnet in dem Augenblick an meinem Tisch vorbei, als ich es ihr über den Gang hinweg zustecken wollte. Als ich das Herz schließlich aus der Tasche fischte, schnappte Fitz es sich. »Du hast auch eine Karte gekriegt, was?« Er las sie vor, und er und Delia lachten.
    Wütend riß ich sie ihm wieder aus der Hand. »Die hab ich nicht gekriegt, du Blödmann. Die will ich jemandem schenken.« Und weil Delia irgendwie noch immer lachte, marschierte ich an ihr vorbei und schnurstracks auf das erstbeste Mädchen zu, das ich sah, Itzy Fisher, die ein Tablett mit Essen trug. »Da«, sagte ich und schob ihr die Karte zwischen die Serviette und das Stück Pizza.
    An Itzy Fisher fand ich absolut nichts Besonderes. Sie hatte langes Kraushaar, das ihr fast bis zum Po fiel, und sie trug eine Goldbrille, die manchmal im Unterricht die Sonne reflektierte und kleine Lichtflecken an die Tafel warf. Ich hatte das ganze Jahr höchstens drei Worte mit ihr gewechselt.
    »Itzy Fisher?« sagte Delia vorwurfsvoll, als ich mich wieder hinsetzte. » Die magst du?« Und dann stand sie auf und lief aus der Cafeteria.
    Stöhnend ließ ich den Kopf auf die Arme sinken. »Ich hab die Karte nicht für Itzy gemacht. Die sollte für Delia sein.«
    »Delia?« sagte Fitz.
    »Das verstehst du nicht.«
    Fitz blickte mich eindringlich an. »Wie kommst du darauf?«
    Jedes Mal, wenn ich mich an den Augenblick erinnere, wird mir klar, daß das, was als nächstes passierte, auch anders hätte ausgehen können. Daß mein Leben vielleicht ganz anders verlaufen wäre, wenn Fitz nicht so ein guter Freund oder eher ein Rivale oder nur sich selbst gegenüber ehrlicher gewesen wäre. Doch statt dessen bat er mich um einen

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