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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hier irgendwo verstecken. Wenn Twitch keinen Scheiß erzählt hat, dann begnügen die sich heute nicht mit einer Leibesvisitation. Dann setzen die uns zusätzlich auf den Thron, das ist ein Metalldetektorstuhl.«
    Concise quetscht sich unter die untere Pritsche und fängt an, den Zement zwischen den Steinen herauszukratzen. Nach zehn Minuten ist das Loch tief genug für die kleine Patrone. Er kommt wieder unter dem Bett hervor und kramt aus seiner persönlichen Habe eine Tube Zahnpasta und eine Packung Metamucil hervor. Er vermischt beides im Waschbecken und häuft einen Klecks in seine hohle Hand. »Halt die Augen auf«, sagt er und kriecht wieder unter die Pritsche, um das Loch zuzuschmieren.
    Concise und ich werden für die Fahrt vom Gericht zurück in die Haftanstalt mit Handschellen aneinan-dergekettet. Er ist stiller als sonst. Im Untersuchungsgefängnis kann es noch so schlimm sein, die Realität, mit der man im Gericht konfrontiert wird, ist noch schlimmer.
    Wir passieren die Einlaßschleuse und werden erneut einer Leibesvisitation unterzogen, bevor wir zurück in unseren Trakt dürfen. Ich folge ihm nach oben in unsere Zelle und lasse mich auf die untere Pritsche fallen. Vage registriere ich, wie ein Aufseher seine Runde macht. Es ist später Nachmittag, um diese Zeit ist der allgemeine Geräuschpegel relativ hoch - ein paar Insassen brüllen sich unten im Gemeinschaftsbereich an, Pokerkarten knallen auf einen Metalltisch, der Fernseher plärrt, Klospülungen rauschen, Duschen laufen.
    Concise setzt sich auf den Schemel, die Hände zwischen den Knien. »Mein Anwalt meint, ich muß mit zehn Jahren rechnen«, sagt er. »Wenn ich rauskomme, ist mein Junge so alt wie ich, als die Crips mich aufgenommen haben.«
    Wir wissen beide, daß wir unserer Vergangenheit nicht davonlaufen können, sie überquert immer als erste die Ziellinie.
    »He«, sagt er. »Tu mir den Gefallen und check mal Unser Versteck.«
    Ich gehe auf alle viere und stecke den halben Ober-Körper unter die Pritsche. Doch da steigt mir auch schon der starke Pfefferminzgeruch in die Nase, kurz bevor ich das verräterische Loch sehe, an der Stelle, wo die Fuge ausgekratzt wurde.
    Dann ertönt ein Schuß.
    Der Knall ist enorm laut, er hallt von den Wänden wider, und ich bin für einen Moment taub. Ich krieche unter der Pritsche hervor und fange Concise auf, als er von dem Schemel kippt. Seine Augen rollen nach hinten, sein Blut durchnäßt meine Kleidung. »Wer war das?« schreie ich in die Menge, die sich schon vor der Zelle drängt. Ich suche nach dem Schützen, aber ich sehe nichts als gestreifte Anstaltskleidung.
    Concise ist ein schweres Bündel aus Gliedmaßen und Verzweiflung. Was ist schwarz und weiß und doch ganz rot, denke ich, ein Witz, den ich irgendwann mal gehört habe. Die Pointe fällt mir nicht mehr ein, aber ich kenne auf einmal eine andere: ein schwarzer Mann, der im Knast stirbt, ein weißer Mann, der ihn währenddessen in den Armen hält.
    Ich höre ein Funkgerät knistern, und plötzlich erwacht der ganze Knast zum Leben: Officer in Trakt B, Ebene drei braucht Verstärkung. Mann angeschossen. Sämtliche Officer auf Ebenen zwei und drei sofort in Trakt B. David zwei, verstanden?
    Verstanden, David zwei.
    Zellen in Trakt B schließen.
    Stahltüren fallen geräuschvoll zu.
    Ich werde von Concise weggezogen. Jemand fragt mich, ob ich verletzt bin, und blickt auf meine Arme und Brust, auf denen Concise' Blut ist. Man fesselt mir die Hände auf dem Rücken, und ich werde in den Tagesraum gebracht, der ausgestorben ist wie eine Geisterstadt.
    In dem ganzen Chaos hat niemand daran gedacht, den Fernseher auszuschalten. Das muntere Geplauder von TV-Koch Emeril Lagasse wird unterbrochen, als eine Krankenschwester schreit, man soll einen Krankenwagen rufen, als eine tiefe Stimme »Mehr Druck« sagt, als mit lautem Geheul die Sanitäter der Feuerwehr Phoenix eintreffen.
    »Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen«, sagt Emeril.
    Sie werden Concise ins Good Samaritan Hospital bringen, die nächste Klinik mit einer Notaufnahme. »He«, brülle ich, als er auf einer Trage an mir vorbeigebracht wird. »Wird er's schaffen?«
    »Er ist tot«, erwidert eine Stimme. »Aber das wußten Sie doch schon, oder?«
    Als ich aufblicke, sehe ich einen großen, gutgekleideten Schwarzen mit der Dienstmarke eines Detective am Gürtel. Er blickt auf meine blutbesudelten Sachen, und mir wird klar, daß er mich für einen Mörder hält, genau wie jeder

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