Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Kopf.
Concise schleift das Blech für die Pistole noch heftiger über den Zement. »Warum die Eile?« frage ich.
Wenn ein Krawall zwischen den Hautfarben droht, verbreitet sich das Gerücht vorher wie ein Lauffeuer. Doch mir ist nichts zu Ohren gekommen. Und Sticks hat fast den ganzen Nachmittag grüblerisch in seiner Zelle gehockt.
»Die Weißen haben ihren Lieferanten verloren«, sagt Concise. »Ist draußen totgeprügelt worden. Sticks muß irgendwie an Drogen rankommen, sonst kriegt er sein Tattoo nicht.«
Obwohl Sticks die Weißen in unserem Trakt kontrolliert, nimmt er noch immer Anweisungen von jemandem oben in der Sicherungsverwahrung entgegen, jemandem, der von ihm erwartet, daß er eine neue Quelle auftut.
»Meinst du, er kommt zu uns?« Wenn Concise schon die Mexikaner ausnimmt, kann ich mir gut vorstellen, was er bei den Weißen aufschlägt.
»Ja, er wird kommen«, bestätigt Concise. »Aber das heißt nicht, daß wir an ihn verkaufen.«
Bestimmte Ecken auf den Fluren und Gängen dieser Haftanstalt werden nicht von den Überwachungskameras erfaßt. Zum Beispiel der Bereich, in dem die Gottesdienste und AA-Treffen stattfinden, oder der Gang, der zur Krankenstation führt. Das sind die Stellen, die sich für einen präzisen Ellbogenstoß in die Nieren oder einen Messerstich anbieten. Jeder legt einen Schritt zu, sobald er hier um die Ecke biegt.
Ich komme gerade von einem Weiterbildungskurs zurück - mein Hochschulabschluß in Chemie ist nichts im Vergleich zu einer einzigen Stunde außerhalb der Anstalt -, als eine Hand mich packt und gegen die Wand drückt. Der messerscharf geschliffene Griff einer Zahnbürste wird mir an die Gurgel gedrückt.
Ich denke, es ist Sticks, deshalb bin ich fast erleichtert, als ich statt dessen einen mexikanischen Akzent höre. »Sag dem miyate, wir wollen nicht draufzahlen«, sagt Flaco.
Ich rieche sauren Uringestank und merke, daß er aus meiner Hose aufsteigt. Flaco läßt mich los. Ich falle auf Hände und Knie. »Und wenn du nicht auf mich hörst, Gringo«, droht er, »ich kenn da einen netten Aufseher, der tut's bestimmt.«
In unserer Zelle geht Concise gerade seine Post durch. Ein Päckchen mit dem Absender seines Anwalts - eine Fälschung - enthält einen Schreibblock voll mit Notizen. Concise hat die rote Klebeheftung oben am Rand gelöst, und zum Vorschein kommt ein kleiner, in den Block hineingeschnittener Hohlraum, in dem ein winziges Plastiktütchen versteckt ist, nicht größer als ein Zahn: unsere nächste Lieferung Meth. Als ich reinkomme, schnüffelt er und verzieht das Gesicht. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Flaco möchte, daß du deine Wucherpreise für Mexikaner noch mal überdenkst.« Ich wende mich von ihm ab und ziehe mir meine Ersatzmontur an. Die schmutzigen Sachen werfe ich auf einen Haufen.
»Flaco ist ein Idiot. Der hat bei den Chicanos sowieso nix mehr zu melden - hat seinen ersten Auftrag für die Mexican Mafia vermasselt.«
Ich sinke auf die untere Pritsche. »Concise, er droht damit, uns an die Aufseher zu verpfeifen.«
Concise kommt zu mir und streckt einen Finger aus. Er berührt damit die Stelle, wo Flaco mir sein selbstgebasteltes Messer an den Hals gedrückt hat. Ich streiche mit den Fingern über die Haut, und sie sind blutig.
»Ist nicht schlimm.«
Concise bläht die Nasenflügel auf. »Nicht schlimm.« Er drückt sich die Handflächen auf die Kugel seines geschorenen Schädels, denkt offensichtlich nach. »Du bist raus.«
»Raus aus was?«
»Aus dem Spiel. Aus der ganzen Sache.«
Ich starre ihn eine Sekunde lang verständnislos an.
»Du bist eine Belastung, Mann. Du hast hier drin zu viele Feinde, weil du weiß bist, aber dich nicht wie ein Weißer verhältst. Das Risiko kann ich nicht eingehen.« Er verschließt den kleinen Hohlraum in dem Schreibblock wieder. »Ich zahl dich aus, ganz reell.«
Im Gefängnis ist Vertrauen mehr wert als Gold. Wie sollst du jemandem glauben, dessen ganzes Leben auf Lügen aufbaut? Wie sollst du nachts die Augen schließen, wenn du weißt, daß dein Zellengenosse wegen Mordes verhaftet wurde? Die Antwort lautet: Weil dir nichts anderes übrig bleibt. Die Alternative - ein Einzelkämpferdasein - ist in Wirklichkeit gar keine Alternative. Wenn du überleben willst, mußt du dich in eine Gruppe einfügen, selbst wenn die Gruppe aus Menschen besteht, die sich ihren Platz neben dir mit Lügen und Betrug erkämpft haben. Du mußt jemanden finden, der es wert ist, dein Beschützer zu
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