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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gefühlt hatte.
    Gott bewahre, vielleicht würdest du ja auch versuchen, das Loch in dir auf die gleiche Weise zu füllen wie sie.
    Wir gingen dann zusammen einen Polizisten besuchen, den ich kannte, weil er der Sohn von einem der Senioren war, die jeden Dienstag im Zentrum Mahjongg spielten. Art war bei der Polizeihundestaffel und sein Suchhund war ein deutscher Schäferhund namens Jerry Lee. Du durftest mit Jerry Lee Verstecken spielen, doch er spürte dich überall auf. Als wir an dem Tag nach Hause fuhren, wußtest du, was du später mal werden wolltest. Es ist ein feiner Unterschied, ob man etwas, was verlorengegangen ist, als vermißt betrachtet oder als etwas, was wiedergefunden werden könnte.
    Als du auf der High-School warst, besorgte ich dir ein Praktikum bei einem Tierarzt. Auf dem College holtest du dir einen Jagdhund aus einem Tierheim, den du als Such- und Rettungshund ausgebildet hast. Kurz vor deinem Examen hattest du deinen ersten großen Einsatz: Ein kleiner Junge war von einem Kirmesplatz weggelaufen. Es dauerte nicht lange, und du hattest dir den Ruf erworben, zäh und gewissenhaft zu sein. In ganz New Hampshire und Vermont wurdest du von den Hundestaffeln der Polizei um Unterstützung gebeten. Wie oft hast du nicht schon Reportern und dankbaren Geretteten erzählt, was für dich der Auslöser war, diesen Beruf zu ergreifen: Angefangen hat alles mit einem kleinen Vogel, sagst du dann immer, den du als Kind gefunden hast.
    Gestern abend, vor der Anhörung, zitterte ich plötzlich am ganzen Körper. Das war kein Frösteln, sondern ein richtiger Anfall von Schüttelfrost, so daß die Wärter mich vorsichtshalber auf die Krankenstation brachten. Bei der Untersuchung konnte nichts festgestellt werden. Es war die Art von Zittern, wie es bei Astronauten zu beobachten ist, wenn sie zurück auf die Erde kommen, oder bei Bergsteigern, die vom Gipfel des Kilimandscharo wieder nach unten kommen -ein eisiges Frieren, das nichts mit Kälte zu tun hat, sondern ausschließlich daher rührt, daß man von einer Welt in die andere gelangt. Es hielt die ganze Zeit an, als die Wärter mir Handschellen anlegten und mich zum Gerichtsgebäude nebenan führten. Es hielt an, während ich in der Wartezelle beim Sheriff saß. Es hielt an bis zu dem Augenblick, als ich dich im Gerichtssaal sah und deinen Namen rief.
    Du konntest mir nicht in die Augen sehen, und da überkamen mich zum ersten Mal Zweifel, ob ich richtig gehandelt habe. Dabei hoffen Eltern doch im Grunde nur eines: daß ihren Kindern all die Enttäuschungen, die die Eltern in ihrem Leben erlitten haben, erspart bleiben.
    »He«, sagt mein Zellengenosse. »Ißt du dein Brot nicht?«
    Er heißt Monteverde Jones, ist zwanzig Jahre alt und wartet auf seinen Prozeß wegen bewaffneten Raubüberfalls. Ich werfe ihm mein Stück Brot zu, das sich auch als Schlagwaffe benutzen ließe, so hart ist es.
    Weil Monte schon länger hier ist als ich, darf er beim Essen mit seinem Tablett auf der Pritsche sitzen. Ich muß mit dem Klo oder dem Fußboden vorliebnehmen. Alles im Knast basiert auf Hierarchie und Privilegien. In der Hinsicht ist das Leben hier drin nicht viel anders als das Leben draußen. »Und«, sagt Monte, »womit verdienst du so deine Brötchen?«
    Ich sehe ihn über meine Gabel hinweg an. »Ich leite ein Seniorenzentrum.«
    »So was wie ein Pflegeheim?«
    »Das Gegenteil«, erkläre ich. »Ein Treffpunkt für aktive Senioren. Wir veranstalten Sport- und Schachturniere und besuchen schon mal ein Spiel von den Red
    Sox.«
    »Nicht schlecht«, sagt Monte. »Meine Grandma ist in so einem Heim, wo sie ihr bloß Sauerstoff geben und warten, daß sie stirbt.« Er holt einen spitzen Bleistift hervor und macht sich damit die Fingernägel sauber. »Wie lange machst du das schon?«
    »Seit ich nach Wexton gezogen bin«, erwidere ich. »Fast dreißig Jahre.«
    »Dreißig Jahre?« Monte schüttelt den Kopf. »Also schon immer.«
    »Nicht ganz«, sage ich.
    Wenn ich dich hätte anrufen dürfen, hätte ich folgendes gesagt:
    Wie geht's dir? Wie geht's Sophie? Mir geht's gut. Ich bin stärker, als du vielleicht glaubst.
    Ich wünschte, es wäre anders gekommen.
    Ich sehe dich in Arizona, dann erkläre ich dir alles.
    Ich weiß.
    Mir tut es auch nicht leid.

FITZ
    Ich bin nicht gefaßt auf diesen Anblick, als ich in die Straße einbiege, in der ich aufgewachsen bin. Zwei Übertragungswagen von Fernsehsendern aus dem Bostoner Raum parken in der Einfahrt von Erics einstigem

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