Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Elternhaus. Vor Andrew Hopkins' Haus haben Fernsehreporter Stellung bezogen. Jeder von ihnen steht einem Kameramann gegenüber, dessen Aufgabe es ist, ein kleines Stück leeren Hintergrunds einzufan-gen, damit es so aussieht, als würde kein anderer Sender über die Sensationsstory berichten. Die Sache ist ein Knüller für jeden Journalisten, und unter anderen Umständen wäre ich jetzt bei den Kollegen, würde Zigaretten und Kaffee schnorren und mit den anderen darauf warten, daß jemand zur Haustür hinausspäht.
Ich stelle den Wagen ab und schleiche mich an den Medien vorbei in den Garten meines ehemaligen Elternhauses. Hier wohnt jetzt ein lesbisches Pärchen mit seiner Adoptivtochter - der Garten ist wesentlich gepflegter als früher. Doch hinter den Rhododendronbüschen ist noch immer an einer Stelle ein Loch im Zaun, gerade groß genug, um in Delias Garten zu kriechen - ein Geheimweg, auf dem wir oft Nachrichten und kleine Schätze füreinander deponierten. Ich gehe zur Hintertür und trete ein, ohne anzuklopfen. »Dee?« rufe ich. »Ich bin's.«
Als ich keine Antwort erhalte, gehe ich in die Küche. Delia trägt Jeans und einen Pullover von Eric. Das schwarze Haar umrahmt wild und zerzaust ihr
Gesicht, und ihre Füße sind nackt. Sie steht über die Küchenzeile gebeugt und hat das Telefon ans Ohr gepreßt. Unter dem Küchentisch sitzt Sophie im Nachthemd und stellt Farmtiere in Reih und Glied auf. »Fitz!« sagt Sophie, als sie mich sieht. »Weißt du was? Ich konnte heute nicht in den Kindergarten, weil die vielen Autos im Weg stehen.«
»Würden Sie bitte noch mal nachsehen?« sagt Delia ins Telefon. »Vielleicht unter E. Matthews?«
Ich knie mich neben Sophie und hebe einen Finger vor die Lippen: leise. Doch da knallt Delia den Hörer auf und flucht wie ein Seemann. Als sie mich ansieht, stehen ihr Tränen in den Augen. »Die müssen ihr doch inzwischen gesagt haben, daß ich ... daß wir in New Hampshire wohnen, aber sie hat immer noch nicht angerufen, Fitz.«
Mag sein, denke ich, daß Delias Mutter nicht mehr in Arizona lebt und noch keine Ahnung von Andrews Festnahme hat oder sie lebt gar nicht mehr. Aber ich bringe es nicht übers Herz, Delia diese Möglichkeiten vor Augen zu führen.
»Vielleicht hat sie einfach Angst, daß du nicht mit ihr sprechen willst«, sage ich schließlich.
»Daran hab ich auch schon gedacht. Deshalb hab ich mir überlegt ... ich ruf sie an.« Wieder kommen ihr die Tränen. »Aber ... ich kann sie nirgends finden. Ich weiß nicht, ob sie wieder geheiratet hat oder ob sie noch ihren Mädchennamen trägt ... ich kenn ja nicht mal ihren Mädchennamen. Sie ist eine Wildfremde für mich.«
Ich luge unter den Tisch. »Soph«, sage ich. »Du kriegst von mir einen Dollar, wenn du nach oben gehst und Mommys lila Nagellack findest, bevor ich bis hundert gezählt habe. Eins, zwei, drei ...«
Sie flitzt los. »Ich benutze keinen Nagellack«, sagt Delia müde.
»Ich weiß.« Ich trete zu ihr. »Was hast du eigentlich Sophie erzählt?«
»Sie war dabei, als ihr Großvater in Handschellen abgeführt wurde. Was hätte ich da groß sagen können?« Delia schüttelt den Kopf. »Ich hab gesagt, das wäre bloß ein Spiel, wie das Brettspiel, das wir gespielt haben, als die Polizei kam.« Sie schloß die Augen. »Trouble.«
»Wo ist Eric?«
»Im Büro. Erledigt den Papierkram für den Prozeß in Arizona.« Sie läßt sich auf einen Stuhl sinken. »Soll ich dir mal was Komisches verraten, Fitz? Ich habe mir jeden Abend gewünscht, daß meine Mutter noch lebt. Und ich meine nicht als Kind. Ich meine noch vor einer Woche. Zum Beispiel ... als Sophie bei der Aufführung im Kindergarten einen Zahn gespielt hat und ich mir gewünscht habe, meine Mutter könnte sie sehen, oder als ich die Gerichte für das Hochzeitsmenü aussuchen mußte und die Hälfte von dem, was auf der Catering-Liste stand, nicht mal aussprechen konnte. Ich hab mir früher mal eingeredet, ich wäre als Baby im Krankenhaus verwechselt worden und meine Mutter würde auftauchen und sagen, es war alles nur ein schrecklicher Irrtum. Jetzt ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen und sieh dir an, was ich davon habe: Ich habe eine Mutter, aber ich habe keinen Schimmer, wer ich bin. Ich kenne nicht mal mein richtiges Geburtsdatum. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich einunddreißig bin. Und ich dachte, ich würde meinen Vater kennen ... aber wie sich herausstellt, war das die größte Lüge von allen.«
»Er ist noch immer
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