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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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»Donnerwetter«, hatte der Officer gesagt, als er sah, wie geschickt ich mich dabei anstellte. »Wir sollten Ihnen bei uns einen Job anbieten.«
    Jetzt, wo ich hier in der Haftanstalt Madison Street meine Fingerkuppen auf einem leeren Blatt abrolle, ist die junge Frau überrascht: »Ein Profi«, sagt sie, und ich blicke auf. Ich frage mich, ob sie weiß, daß Entführer und Entführte die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen müssen.
    Von Zelle 6 aus kann ich den Jungen sehen, der wegen Selbstmordgefährdung in einem Sicherheitsstuhl arretiert ist. Die Haare fallen ihm ins Gesicht, und während er einen Rap vor sich hin flüstert, ballt er immer wieder die Hände zu Fäusten und zerrt an den Riemen, mit denen er festgeschnallt ist.
    Der junge Mexikaner, der mir geraten hat, die Finger vom Telefon zu lassen, ist jetzt auch hier. Er hebt die
    Hände, als die Tür aufgeht und der Aufseher einen Schwung Plastiktüten in die Luft wirft, und fängt zwei, bevor sie auf dem Boden landen. »Ladmo«, sagt er.
    »Andrew Hopkins.«
    Ein paar Männer in der Zelle lachen. »Das ist nicht mein Name«, sagt der Junge. »So heißt das Essen.«
    Ich nehme ihm den Zellophanbeutel aus der Hand und sehe mir den Inhalt an: sechs Scheiben Weißbrot. Zwei Stück Käse. Zwei Scheiben Mortadella. Eine Orange. Ein Keks. Eine Minipackung Saft. Genau das, was du und ich Sophie für den Kindergarten einpacken.
    »Wieso hat das Essen einen Namen?« frage ich.
    Er zuckt die Achseln. »Es gab mal 'ne Kindersendung, Wallace & Ladmo. Da wurden Beutel mit Leckereien verschenkt. Sheriff Jack fand das wohl lustig.«
    Auf der anderen Seite des Raumes schüttelt ein massiger Mann den Kopf. »Nicht gerade lustig, uns für den Scheiß einen Dollar pro Tag abzuknöpfen.«
    Der Mexikaner bohrt einen langen Fingernagel in seine Orange und fängt an, sie zu schälen. »Das findet Sheriff Jack auch lustig«, sagt er. »Sobald du drin bist, mußt du für dein Essen bezahlen.«
    »He.« Ein Indianer, der in der Ecke geschlafen hat, reibt sich die Augen und kriecht zu einem Ladmo-Beutel. »Welches Tier trägt das Arschloch auf dem Rücken?«
    »Das Pferd von Sheriff Jack«, knurrt der massige Mann. »Wie wär's mal mit 'nem Witz, den wir noch nicht tausendmal gehört haben?«
    Die Augen des Indianers verhärten sich. »Kann ich doch nichts für, wenn sie dich kaum so schnell entlassen können, wie du wieder drin bist.«
    Der massige Mann erhebt sich, sein Lunch fällt zu Boden. Neun Quadratmeter sind nicht viel Platz, aber sie schrumpfen auf Kistenformat, wenn die Angst alle vorhandene Luft aufsaugt. Ich drücke mich gegen die Wand, als der massige Mann den Indianer am Hals packt und in einer einzigen Bewegung mit dem Kopf gegen das Fenster schleudert, so daß die Scheibe zu Bruch geht.
    Als der Aufseher kommt, liegt der Indianer zusammengesackt auf dem Boden der Zelle, Blut rinnt ihm in den Kragen, und der massige Mann ißt seinen Lunch. »Alle Achtung«, sagt der Aufseher. »Das war eins von den stabileren Fenstern.«
    Der massige Mann wird über den Gang in eine Einzelzelle verfrachtet, ohne daß der festgeschnallte Junge reagiert. Der Indianer wird zum Verarzten weggebracht. Der Mexikaner bückt sich und hebt die beiden herrenlosen Lunchbeutel auf. »Die Orange krieg ich«, sagt er.
    Wir werden aufgefordert zu duschen, aber niemand tut es, und ich will nicht noch mehr auffallen. Also ziehe ich mich genau wie die anderen aus und verstaue wie sie meine Sache in einem Plastikbeutel. Wir erhalten dafür orangefarbene Flip-Flops, Hemd und Hose, beide schwarzweiß gestreift, Boxershorts in Pink, Ther-mo-T-Shirt in Pink und Socken in Pink. Noch so ein Trick von Sheriff Jack, wie man mich aufklärt: Kein Häftling käme auf die Idee, die Unterwäsche mitgehen zu lassen, wenn er entlassen wird.
    Wir sind diejenigen, die in die Untersuchungshaft zurückgeschickt werden, in die Obhut des Sheriffs von Maricopa County, diejenigen, die nicht gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden. Genau in der Krümmung des Hufeisens liegt ein Gerichtssaal, in dem mehrmals am Tag Anhörungen stattfinden.
    Als ich das erste Mal einem Richter vorgeführt wurde, sagte ich ihm, ich wolle auf meinen Anwalt warten. »Das ist nett, Mr. Hopkins«, erwiderte er. »Ich würde auch gern auf meine Pension warten, aber wir kriegen nun mal nicht immer alles, was wir wollen.«
    Die Anhörung dauerte keine dreißig Sekunden.
    T-3 ist die Zelle, in der wir warten, bis wir an unseren endgültigen

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