Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
worden ist. Ich bin dafür verantwortlich, daß du dieses Vertrauen überhaupt hast. Ich habe es nicht verdient.
    Wie soll ich dir verständlich machen, daß ich dir das Leben wegnehmen mußte, das du kanntest, um dir das Leben geben zu können, das du, wie ich fand, verdient hattest?
    Als du klein warst und ich die Minuten zählen mußte, in denen ich dich sehen durfte, wollte ich dir die Welt schenken. Deshalb hab ich dich mit dem Auto abgeholt, und wir sind mit heruntergekurbelten Fenstern quer durch die Wüste gefahren. Als wir weit genug weg waren, habe ich mich nach dir umgedreht und gefragt: Wohin würdest du gehen, wenn du überall hinkönntest? Und du hast geantwortet: Auf den Mond. Ins Schlaraffenland. Zur London Bridge. Ich habe Gas gegeben und genickt, als wären alle diese Ziele erreichbar. Ich glaube, wir wußten beide, daß wir nie dort hinkommen würden, aber das spielte keine Rolle, wichtig war, daß wir herumfuhren und nach ihnen suchten. Du hast einfach darauf vertraut, daß du bei mir sicher bist. Du hast darauf vertraut, daß ich dich an einen wunderbaren Ort bringen würde.
    Du sitzt auf der anderen Seite der Trennscheibe, und du weinst. Ich nehme den Hörer und hoffe, daß du das auch tust. »Delia, Schatz«, sage ich. »Nicht weinen.«
    Du hebst den Saum deines T-Shirts und wischst dir die Augen. »Wieso hast du es mir nicht gesagt?«
    Tja, dafür gibt es zig Gründe, darunter so manche Wahrheit, die ich dir noch immer nicht offenbaren kann, die ich dir nie offenbaren werde. Aber der wichtigste Grund war, daß ich aus eigener Erfahrung wußte, wie es war, einen Menschen so sehr zu lieben, daß ich mich bedingungslos auf ihn verlassen hätte, nur um irgendwann zu begreifen, daß er mich fast zerstört hatte. Und das Wissen, daß du mich eines Tages ebenso sehen könntest wie ich am Ende deine Mutter, war mir unerträglich.
    Du fragst nach deinem Namen, nach meinem, nach meinem früheren Beruf. Ich reiche dir diese Informationen, als wären es die taktischen Versprechungen eines Polizeipsychologen, der versucht, jemanden vom Sprung in den Tod abzuhalten, nur daß das Leben, um das es hier geht, das Leben ist, das wir gemeinsam gestaltet haben. Ich suche in deinem Gesicht nach einer Reaktion, aber du blickst mir nicht in die Augen.
    Wenn ich mich in schlaflosen Nächten zwang, mir diesen Augenblick vorzustellen, ging ich alle möglichen Szenarien durch: Die Polizei taucht im Seniorenzentrum auf, meine Kreditkarte wird an der Tankstelle nicht akzeptiert, weil sie gesperrt wurde. Elise steht plötzlich bei uns vor der Tür. Aber immer malte ich mir aus, daß du meine Hand fest in deiner hältst, unfähig oder unwillig, irgend etwas zwischen uns treten zu lassen.
    Vielleicht ist das der Grund dafür, daß ich völlig überrumpelt bin, als du wütend wirst. Ich war es, der dich mitgenommen hat, und deshalb habe ich wohl immer geglaubt, daß ich auch derjenige sein würde, der entscheidet, wann er dich losläßt.
    Ich hatte keine Wahl , sage ich, aber meine Worte hören sich schwach an.
    »Du hattest eine Wahl«, erwiderst du, aber das, was du nicht sagst, durchfährt mich wie eine scharfe Klinge: Und du hast die falsche getroffen.
    Nachdem wir weggelaufen waren, hatten wir beide noch lange Zeit Alpträume. In einem von meinen standest du an der Hand deiner Mutter am Straßenrand, und ihr beide bewegtet euch plötzlich auf eine Front heranbrausender Autos zu. Ich wollte schnell zu dir, um dich zurückzuziehen, merkte dann aber, daß ich mich hinter einer Glaswand befand. Ich hörte Bremsen quietschen und deinen schrillen Schrei, konnte aber nicht zu dir.
    Als du den Besucherraum verläßt, lasse ich den Hörer fallen und presse die Hände an die Trennscheibe. Ich schlage dagegen, aber du kannst mich nicht hören.
    In deinen Alpträumen wurdest du immer irgendwie zurückgelassen. Dann bist du aus dem Schlaf aufgeschreckt, naßgeschwitzt, und hast geweint. Ich habe dir den Rücken gestreichelt, bis du wieder eingeschlafen bist. Alpträume werden nie wahr , habe ich dann gesagt, um dich zu beruhigen.
    Wie sich herausgestellt hat, war auch das gelogen.
    Statt zurück in die Zelle zu gehen, schlendere ich im Trakt umher. In einem Aufenthaltsbereich spielen einige Insassen Karten oder sehen fern. Die Toiletten sind in den Zellen, aber in der hinteren Ecke ist ein Raum mit Duschen. Er ist jetzt leer, ich gehe hinein. Hier bin ich allein.
    Nach deinem Besuch bewege ich mich langsam, wie unter Wasser. Ich

Weitere Kostenlose Bücher