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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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aber zusammen, als ich das Brennen in der Nierengegend spüre. »Wieso bist du hier?« frage ich.
    »Weil das verdammte Ritz ausgebucht war«, sagt Concise. »Was ist denn das für eine blöde Frage?«
    »Ich meine, wieso bist du im Knast?«
    »Sechs Monate wegen Dealerei. Hätte drei gekriegt, aber ich hab vorher schon mal gesessen. Eine Sucht ist wie ein Hund, Mann. Die wartet auf dich vorm Knast und springt dich an, sobald du wieder einen Fuß auf die Straße setzt.«
    Als ich hochschaue, sehe ich über mir den Stahlrahmen, der die obere Matratze hält. Ich sehe die Nieten und frage mich, wieviel Gewicht sie tragen können.
    »Sticks ist ein harter Bursche, Mann. Der denkt, der Trakt hier gehört ihm.« Er schüttelt den Kopf. »Wir fragen uns alle, wer du eigentlich bist.«
    Ich schließe die Augen und denke an all die Menschen, die ich in meinem Leben schon war: ein junger Kerl, der sich vor tausend Jahren in ein unglückliches Mädchen verliebte; ein Vater, der seine neugeborene Tochter im Arm hielt und dachte, daß er sie um keinen Preis der Welt wieder hergeben würde; ein Mann, der sich nach einem einzigen Augenblick mit seiner kleinen Tochter verzehrte; ein Mann auf der Flucht vor dem Gesetz; ein Lügner; ein Betrüger; ein Verbrecher.
    »Nenn mich Andrew«, sage ich.

ERIC
    Die Anwaltskanzlei Hamilton, Hamilton & Hamilton-Thorpe hat ihre Büros in der Innenstadt von Phoenix, in einem verspiegelten Gebäude, das mir einen Heidenschreck einjagt, als ich darauf zusteuere und mir plötzlich mein eigenes Gespenst entgegenspringt. Chris, der zweite Hamilton in der Namensreihe, hat mit mir in Vermont Jura studiert, wohl wissend, daß in der Kanzlei seines Vaters (der erste Hamilton in der Namensreihe) bereits ein schöner, sicherer Job auf ihn wartet. Die jüngste im Trio (die Bindestrich-Hamilton) ist Chris' kleine Schwester, die erst kürzlich ihr Juraexamen in Harvard gemacht hat.
    Ein Anwalt, der in einem anderen Bundesstaat einen Mandanten vor Gericht vertreten möchte, braucht einen Bürgen, einen in dem betreffenden Staat zugelassenen Anwalt. Chris, ein Charmeur mit dem Gesicht eines Chorknaben, konnte im Studium so manchem Professor mühelos eine Fristverlängerung abschwatzen. Als ich ihn anrief und bat, mein Arizona-Bürge zu sein, sagte er ohne Zögern zu.
    »Ich sollte dir aber vorher was über den Fall erzählen«, gab ich zu bedenken.
    »Egal«, erwiderte Chris. »Ist doch ein guter Vorwand, mal wieder loszuziehen und ein paar Bierchen zu zischen.«
    Ich sagte ihm nicht, daß ich das nicht mehr mache.
    Gestern, als ich in die Kanzlei gehetzt kam und versuchte, die Anwaltskammer von New Hampshire zu erreichen, war er gerade bei Gericht. Seine Schwester Serena überließ mir netterweise das Besprechungszimmer von Hamilton, Hamilton & Hamilton-Thorpe, einen riesigen Raum mit Wandtäfelung und edlen Bücherschränken und wuchtigen Ledersesseln mit Messingnieten.
    Heute morgen, als ich um Viertel vor sieben mit dem mir zur Verfügung gestellten Schlüssel die Kanzlei betrete, ist noch keiner da. Nach dem gestrigen Debakel mit meiner nicht vorhandenen Berechtigungskarte will ich mich in das Fallrecht von Arizona einlesen, ehe die Besuchszeit in der Haftanstalt beginnt.
    Irgendwann starre ich auf die Juristensprache, auf all die Schrifttypen und winzigen Buchstaben, die miteinander verschmelzen, bis ich schließlich nur noch die Gestalt eines Mannes sehe, der die Hand ausstreckt, und ein kleines Mädchen, das sie ergreift.
    Ich war zehn Jahre alt und trainierte für den Dienst bei der CIA. Ich hatte ein Walkie-talkie, eine selbstgebastelte Sturmmaske aus einem schwarzen Strumpf, eine Taschenlampe und einen Spickzettel für den Morsecode. Als Übung wollte ich meine Mutter im Wohnzimmer ausspionieren, die dachte, ich wäre noch draußen damit beschäftigt, Junikäfer in alten Erdnußbuttergläsern zu fangen.
    Als ich hineinschlich und mich mit meinem Kassettenrecorder hinter der Couch versteckte, telefonierte sie gerade. »Ein Mistkerl ist er, nichts anderes«, sagte sie. »Ach, weißt du was? Sie kann ihn haben. Sie kann ihn haben mit seinen hochtrabenden Plänen und seinen großen Versprechungen und seinem Casanova-Getue.«
    Ich schaltete den Recorder an und merkte zu spät, daß ich auf Play gedrückt hatte, als auch schon das Geschrei von einem Dutzend Buckelwalen den Raum füllte. Meine Mutter fuhr zusammen und spähte über die Rückenlehne der Couch. Sie verengte die Augen zu kleinen, tödlichen

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