Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
über meine Schwiegereltern.«
Ich erwähne nicht, daß Andrew mir gegenüber im Polizeirevier von Wexton praktisch ein Geständnis abgelegt hat. Daß er den Wunsch geäußert hat, sich schuldig zu bekennen und daß ich Delia geschworen habe, das nicht zuzulassen. Wer als Anwalt in einem anderen Bundesstaat einen Mandanten verteidigen will, muß sich strikt an die Regeln unseres Berufsstandes halten, und ich hab schon zweimal versagt.
»Delia hat mich gebeten, ihn zu vertreten. Ich hab Andrew seit seiner Auslieferung nicht mehr gesehen. Gestern hab ich den ganzen Nachmittag versucht, die Mitarbeiter der Haftanstalt Madison Street davon zu überzeugen, daß ich wirklich Anwalt bin und nicht nur so tue.«
Die Sekretärin steckt den Kopf in den Konferenzraum. »Ach, gut, Mr. Talcott, Sie sind wach«, sagt sie, und ich spüre, wie ich rot anlaufe. »Sie sollen bitte sofort Ihre Verlobte anrufen, Ihre Tochter ist krank.«
»Sophie?« frage ich, aber ich greife bereits nach dem Telefon. Ernsthaft krank? Ich wähle Delias Handynummer und erreiche ihre Mailbox. »Ruf mich zurück«, sage ich, und dann blicke ich Chris an. »Vielleicht fahr ich besser nach Hause, seh nach, ob es ihr gutgeht ...«
»Das hier ist auch noch für Sie gekommen«, sagt die Sekretärin und reicht mir ein Fax.
Es ist ein Schreiben von der Anwaltskammer in New Hampshire mit der Bestätigung, daß ich zugelassener Anwalt und gut beleumundet bin.
Ich sollte nach Sophie sehen, aber ich muß auch mit Andrew sprechen, in der Haftanstalt.
Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, daß ich nicht zum letzten Mal aufgefordert werde, mich zwischen Delias gegenwärtigem Leben und ihrer Vergangenheit zu entscheiden.
Wenn du etwas verzweifelt haben willst, zitterst du vor Verlangen danach. Du sagst dir, ein einziger Schluck genügt, weil du ja nur den Geschmack kosten willst, und sobald du ihn auf der Zunge hast, wirst du ihn ein Leben lang bewahren können. Du träumst nachts davon, du siehst tausend riesige Hindernisse zwischen dir und dem, was du willst, und du redest dir ein, daß du die Kraft hast, sie alle zu überwinden. Das sagst du dir auch dann noch, wenn du schon nach dem ersten Sprung blutend auf dem Boden liegst.
Ich habe allen jahrelang etwas vorgemacht. Klar, ich habe mit dem Trinken aufgehört, aber das war nichts im Vergleich zu meiner anderen Sucht. Liebe ist das gefährlichste Verlangen überhaupt, so empfinde ich es. Es verwandelt uns in Menschen, die wir nicht sind. Sie stößt uns in die Hölle, sie läßt uns über Wasser wandeln. Sie verdirbt uns für alles andere.
Ich beobachte Delia bei den einfachsten Dingen: wie sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz bindet, den Hund füttert, Sophie die Schuhe zubindet, und ich möchte ihr sagen, was sie mir bedeutet, aber ich spreche die Worte nie laut aus. Denn wenn ich Delia als Droge anerkenne, muß ich mich der Tatsache stellen, daß ich vielleicht eines Tages ohne sie auskommen muß, und das schaffe ich einfach nicht.
Im Eingangsbereich der Haftanstalt Madison Street steht eine Reihe blauer Stühle, und an der Wand gegenüber ist ein Fernseher montiert. An einer anderen Wand sind etliche Schalter wie in einer Bank, darüber Schilder mit der Aufschrift BESUCHER und einem, auf dem NUR FÜR ANWÄLTE steht. Ich nähere mich letzterem und komme mir dabei vor wie jemand, der erster Klasse fliegt und an den Massen vorbeigeht. Die Frau hinter dem Schalter erkennt mich. »Da sind Sie ja wieder«, sagt sie mürrisch.
Ich warte mit meinem schönsten Lächeln auf. »Guten Morgen.« Ich schiebe das Schreiben von der Anwaltskammer durch den Schlitz unter dem Plexiglasfenster. »Sehen Sie? Ich bin ein echter Anwalt.«
»Echter Anwalt ... ha, wenn das mal nicht doppelt gemoppelt ist.« Sie nimmt einen Stift. »Zu welchem Insassen wollten Sie?«
Während ich darauf warte, von einem Aufseher abgeholt zu werden, sitze ich mit anderen Besuchern im Wartebereich und gucke Fernsehen. Einige haben Kinder mitgebracht, die bei ihnen auf dem Schoß auf und ab hüpfen wie Popcorn. Gerade läuft irgendeine Gerichtsserie - denke ich zumindest, bis ich das Ärmelabzeichen von einem der Wachleute lesen kann, der neben der Richterbank steht: Maricopa County Sheriff's Office. Da wird mir klar, daß es sich um Bilder einer Sicherheitskamera handeln muß, die eine gerichtliche Anhörung innerhalb der Anstalt aufnimmt. »La mirada«, sagt die Frau neben mir stolz und zeigt auf den Bildschirm, damit ihre Kleine hinschaut. »jNo
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