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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihn ihr.
    Sie reagiert verlegen. »Vielleicht ist das noch nicht der richtige Zeitpunkt«, erwidert sie.
    »Laß das doch Bethany entscheiden.«
    »Da sind bloß ein paar Dinge drin, die ich verwahrt habe«, erklärt meine Mutter und zieht das Gummiband ab. »Ich wußte, daß ich dich eines Tages finden würde. Aber ich hab wohl immer gedacht, du wärst dann noch vier Jahre alt.«
    In dem Karton sind ein Taufhäubchen aus Spitze und das Schildchen von der Babystation im Krankenhaus mit meinem Namen - meinem anderen Namen —, von einer Schwester mit roter Tinte notiert, zusammen mit meinem Gewicht: 2.891 Gramm; eine winzige Porzellantasse mit gesprungenem Griff; ein kleiner quadratischer Zettel, auf den von Kinderhand mit krakeligen Strichen eine Sonne gezeichnet ist.
    Als letztes nimmt meine Mutter eine Miniflickendecke aus dem Karton, Dreiecke aus roter Seide und orangefarbener Zottelwolle und Paisley und hauchdünnem Voile.
    Meine Mutter breitet sie auf dem Schoß aus. »Die hab ich für dich gemacht, als du ganz klein warst, aus allem, was ich an schönem, weichem Material finden konnte.« Sie berührt die rote Seide. »Du hast mit der Schmusedecke gegessen und geschlafen, und ich mußte dir regelrecht verbieten, damit auch noch zu baden. Und du hast dich darunter versteckt, wenn du Angst hattest ... als hättest du gedacht, sie könnte dich verschwinden lassen.«
    Ich hatte meine Schmusedecke vergessen. Ich will nach Hause, hatte ich zu ihm gesagt.
    Das geht nicht, hat er erwidert, aber er hat mir nicht gesagt, warum.
    »Ich erinnere mich«, sage ich leise.
    Ich bin wieder vier, strecke die Arme hoch, damit sie mich aus der Wanne hebt; halte fest ihre Hand, um eine
    Straße zu überqueren; umklammere diese Decke mit der Faust. In einer halben Stunde hat meine Mutter es geschafft, mir das zu geben, was mein Vater nicht konnte: meine Vergangenheit.
    Ich berühre die Flickendecke auf dem Schoß meiner Mutter, wünschte, sie hätte noch immer die gleichen magischen Kräfte wie früher, daß ich sie mir nur an die Wange drücken und mir mit der Ecke über die Lider streichen müßte, damit alles wieder gut ist, wenn die Sonne aufgeht. »Mami«, sage ich, weil ich sie damals so genannt habe.
    Mag sein, daß ich meine Mutter noch nicht kenne, aber eines haben wir gemein: Wir haben beide einen geliebten Menschen verloren.
    Es ist merkwürdig, wenn aus dem Nichts auf einmal eine Erinnerung zurückkommt. Du glaubst, du wirst verrückt. Denn du erkennst, was Erinnerung eigentlich ist: bloß eine Aneinanderreihung von Ereignissen, dicht an dicht, und eine Lücke mit Platz für ein Ereignis mehr.
    Ich habe so viele Fragen an sie. Ich möchte einfach so viel wissen.
    Als ich zurück zum Trailer komme, fächelt Fitz sich mit dem Telefonbuch Luft zu, und Sophie schläft auf der Couch. »Wie war's?« fragt er.
    Irgendwie habe ich das Gefühl, die zerbrechliche Brücke, die meine Mutter und ich eben erst aufgebaut haben, könnte Schaden nehmen, wenn ich gleich zu viel erzähle. »Sie war nicht so, wie ich sie mit erträumt habe«, sage ich vorsichtig, »aber es lief nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte.«
    »Wie ist sie?«
    »Sie ist jünger als mein Vater. Und sie ist Mexikanerin«, sage ich. »Sie ist dort aufgewachsen.«
    Fitz lacht. »Und du warst eine Niete in Spanisch, nicht zu fassen.«
    »Klappe.«
    »Hat sie sich gefreut, dich zu sehen?«
    »Ja.«
    Er lächelt ein wenig. »Und bist du froh, daß du bei ihr warst?«
    »Es ist seltsam, daß ich überhaupt nichts weiß über meine Mutter. Aber sie weiß ja im Grunde auch nichts über mich. Bei meinem Vater war das immer anders. Er wußte alles, und er hat es geheimgehalten.«
    »Mir erzählt Grandpa aber seine Geheimnisse«, sagt Sophie, und wir beide blicken zur Couch. Sie richtet sich auf, das Gesicht rosig vom Schlaf. »Ist er wieder da?«
    Ich setze mich neben sie und ziehe sie auf meinen Schoß. »Was für Geheimnisse erzählt Grandpa dir denn so?« frage ich.
    »Daß er die billigen Weintrauben im Supermarkt gekauft hat und dir erzählt hat, sie wären aus dem Bioladen. Und daß er deine weiße Bluse in die Buntwäsche getan hat und die nachher pink war.« Sie schaut mich an. »Ich glaub nicht, daß wir hier drin auch noch für Grandpa Platz haben.«
    Ich sehe Fitz an. »Grandpa wird nicht bei uns wohnen«, sage ich zu Sophie. »Weißt du noch, wie die Polizei neulich bei uns war?«
    »Du hast gesagt, das wäre ein Spiel.«
    »Ja, und jetzt hat sich

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