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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wirkt erheblich jünger, als ich erwartet hätte. »Si, Brot und Bohnenmus«, ruft sie jemandem im Innern zu. »Ich hab's gehört.« Dann dreht sie sich um und stößt mit mir zusammen. »Discülpeme, ich hab Sie nicht -« Ihre Hand fährt hoch und bedeckt ihren Mund.
    Ihr Gesicht sieht aus wie ein Foto von mir, das erst zerknüllt und anschließend doch wieder glatt gestrichen wurde - meine Züge, aber durch feine Falten sanft gealtert. Ihr Haar ist einen Tick schwärzer als meins. Doch es ist ihr Lächeln, das mir die Sprache verschlägt. Zwei Eckzähne, ganz leicht verdreht - der Grund, warum ich vier Jahre eine Spange tragen mußte.
    »Gratias a dios«, murmelt sie. Als sie den Arm hebt, lasse ich zu, daß sie mich berührt, meine Schulter und Hals und dann meine Wange. Ich schließe die Augen und muß daran denken, wie oft ich mir selbst im Dunkeln den Arm gestreichelt und mir vorgestellt habe, sie wäre es; dabei mußte ich immer wieder feststellen, daß ich mir nicht selbst Trost spenden konnte. »Beth«, sagt sie, und dann wird sie rot. »Aber so heißt du nicht mehr, stimmt's?«
    In dem Augenblick ist es überhaupt nicht wichtig, wie sie mich nennt, entscheidend ist, wie ich sie nenne. Meine Stimme bricht. »Bist du meine Mutter?«
    Ich weiß nicht, wer von uns nach der anderen greift, aber plötzlich liege ich in ihren Armen, ein Ort, den ich mir mein ganzes Leben lang vorstellen mußte. Ihre Hände gleiten über mein Haar und meinen Rücken, als wollte sie sich vergewissern, daß ich real bin. Ich suche in meinem Gedächtnis nach einem Hauch von Wiedererkennen, aber ich weiß einfach nicht, ob das Gefühl vertraut ist, weil ich mich erinnere oder weil ich mich unbedingt erinnern will.
    Sie riecht noch immer nach Vanille und Äpfeln.
    »Schau dich an«, sagt sie sanft und hält mich so weit von sich weg, daß sie mich ansehen kann. »Wie hübsch du bist.«
    Im Hintergrund ertönt eine Stimme: ein tiefer Bariton mit einem leichten Akzent. »Elise? Wer ist denn da?« Er kommt an die Tür, ein schlanker Mann mit weißem Haar, kaffeefarbener Haut und einem Schnurrbart. »Ellapodria ser su gemelo «, flüstert er. Sie könnte ihr Zwilling sein.
    »Victor«, sagt meine Mutter, die Stimme so voll, daß sie überläuft. »Du erinnerst dich an meine Tochter.«
    Ich erinnere mich nicht an diesen Mann, aber anscheinend kannte er mich. »Hola«, sagt Victor. Er streckt einen Arm nach mir aus, und dann, als hätte er es sich plötzlich anders überlegt, schlingt er seinen Arm um die Taille meiner Mutter.
    »Ich wußte nicht, ob es richtig war, einfach herzukommen«, gestehe ich. »Ich wußte nicht, ob du mich sehen wolltest.«
    Meine Mutter drückt meine Hand. »Darauf warte ich seit fast dreißig Jahren«, sagt sie. »Sobald ich erfahren habe, wer du ... jetzt ... bist, habe ich versucht, dich anzurufen, aber es ging niemand ran.«
    Von der Erleichterung, die mich bei ihren Worten durchströmt, daß sie mich angerufen hat, knicken mir beinahe die Knie ein. Es war nicht so, daß meine Mutter nicht versucht hätte, mich zu erreichen, ich war nur bereits auf dem Weg nach Arizona, um bei meinem Vater zu sein, während ihm der Prozeß gemacht wird.
    Wir haben beide den gleichen Gedanken, und das erinnert uns daran, daß das hier nicht einfach nur ein Wiedersehen ist. Victor räuspert sich. »Kommt doch rein und setzt euch ins Wohnzimmer.«
    Ihr Haus ist mit bunter Talavera-Keramik und schmiedeeisernen Objekten geschmückt. Als wir ins Wohnzimmer gehen, suche ich nach Hinweisen, die mir mehr verraten: Spielzeug, das von anderen Kindern oder Enkelkindern zeugt; die Titel von CDs auf den Regalen; gerahmte Fotos an den Wänden. Eines erregt mein Augenmerk - ein Schnappschuß von meiner Mutter und mir, beide in den gleichen bestickten Kleidern. Ich hatte unter den Fotos, die mein Vater vor mir versteckt hatte, eine ähnliche Aufnahme gesehen, die vielleicht kurz davor oder danach entstanden war.
    »Ich hol uns Eistee«, sagt Victor, und er läßt mich und meine Mutter allein. Man möchte meinen, daß es so viel zu sagen gibt, daß es nur so aus uns heraussprudeln würde. Doch statt dessen sitzen wir verlegen schweigend da. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagt meine Mutter schließlich. Sie blickt nach unten auf ihren Schoß, plötzlich schüchtern. »Ich weiß nicht mal, was du beruflich machst.«
    »Such- und Rettungsdienst. Ich habe einen Bluthund, und wir suchen nach Vermißten«, sage ich. »Schon verrückt, in

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