Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
drehte sie um. »Das ist interessant. >Die Liebendens na, genau was man erwarten würde - ein glückliches Paar. Eine Liebesbeziehung wird entscheidend dazu beitragen, daß du bekommst, was du dir wünschst. Die Kraft-Karte ist nicht so gut, wie sie klingt - sie sagt, du sollst dich nicht selbst überfordern. Aber ich glaube, der Triumphwagen gleicht das aus, denn das ist eine mächtige Karte, und sie bedeutet, dass du am Ende Glück haben wirst.«
Ich drehte die Karten fünf und sechs um. »Die Acht Stäbe sind eine Warnung vor schlimmen Taten, die dich zerstören könnten ... und diese Karte, der Gehängte ... hast du in letzter Zeit irgendwie gegen das Gesetz verstoßen? Das bedeutet die Karte normalerweise - jemand, der gut daran täte, sich zu bessern, sonst straft Gott ihn, auch wenn die Justiz es nicht tut.«
»Ich bin bei Rot über die Straße gegangen«, sagte Charlie.
Die Karten sieben und acht waren die Feinde, die ihm übel wollten. »Die beiden sind tolle Karten«, sagte ich. »Die hier ist ein Kind, das dir viel bedeutet und das Ausgeglichenheit in dein Leben bringt.«
»Ich kenne gar keine Kinder.«
»Keinen Bruder, keine Schwester?« fragte ich. »Keine Nichten, Neffen?«
»Nicht mal ein Cousin.«
Ich fing an, die Theke zu wischen, obwohl sie blitzsauber war. »Dann ist es vielleicht dein Kind«, sagte ich. »Irgendwann.«
Seine Hand glitt über das Holz, berührte die Karte. »Wie wird sie aussehen?«
Die Farbe waren die Kelche. »Hellhäutig und dunkelhaarig.«
»Wie du«, sagte er.
Ich wurde rot und drehte rasch die letzte Karte um. »Die hier verrät dir, ob dein Wunsch in Erfüllung geht oder ob all die anderen Dinge es verhindern.«
Auf der Karte waren die Sieben Kelche - eine Hochzeit oder Verbindung, die er sein Leben lang bereuen würde. »Na?« fragte Charlie, und in seiner Stimme schwang die Zukunft mit. »Bekomme ich, was ich mir wünsche?«
»Auf jeden Fall«, log ich, und dann beugte ich mich über die Theke und küßte ihn über die Landkarte unseres Lebens hinweg.
Ich habe dich nie vergessen.
In einer Ecke der Garage stapeln sich noch die Kartons mit den Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken, die du nie auspacken konntest - Stofftiere und Armbänder, Paillettenslipper und Prinzessinnenkostüme, die dir damals gepaßt hätten. Als Victor mitbekam, daß ich noch immer Geschenke für dich kaufte, ist er wütend geworden - das ist ungesund, hat er gesagt - und ich mußte ihm versprechen, damit aufzuhören. Es versteht eben nicht jeder, daß man gleichzeitig hoffen und trauern kann.
Als die Grundschule, auf die du gegangen wärst, die Kinder verabschiedete, die auf die High-School wechselten, bin ich zu der Feier gegangen und habe mir angehört, wie die Jungen und Mädchen in der Aula erzählten, was sie später gern werden würden: Archäologin, Popsänger, die erste Astronautin auf dem Mars. Ich stellte mir vor, du wärst dabei gewesen, mit Zöpfen, obwohl du dafür wohl schon zu alt gewesen wärst. Deinen sechzehnten Geburtstag feierte ich im Biltmore in Phoenix, wo ich bei dem befrackten Kellner Tee für zwei bestellte, obwohl du mir gar nicht gegenübersaßt.
Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, daß du wieder nach Hause kommen würdest, aber irgendwann hab ich aufgehört, damit zu rechnen. Es ist zermürbend, wenn einem bei jedem Läuten an der Tür und bei jedem Klingeln des Telefons der Atem stockt, und irgendwann beschließt man bewußt oder unbewußt, sein Leben in zwei Hälften zu teilen - davor und danach. Und der Verlust ist in eine enge Luftblase in der Mitte eingeschlossen. Man kann lachen und lächeln und sein Leben weiterleben, aber eine einzige Bewegung genügt und die Leere in der eigenen Mitte wird einem voll bewußt.
Wenn du jemanden mehr liebst, als von ihm geliebt zu werden, tust du alles, um die Waagschalen zu tauschen. Du ziehst dich so an, daß es ihm gefällt. Du eignest dir seine Lieblingsredewendungen an. Du sagst dir, wenn du dich selbst neu erschaffst, so wie er dich gern hätte, dann wird er sich genauso nach dir verzehren wie du dich nach ihm.
Vielleicht verstehst du das, was zwischen Charlie und mir passiert ist, ja besser als jede andere: Wenn man immer und immer wieder gesagt bekommt, man sei jemand, der man gar nicht ist, fängt man irgendwann an, es zu glauben. Man lebt dieses andere Leben. Aber man trägt eine Maske, eine, die verrutschen kann, wenn man nicht aufpaßt. Man fragt sich, was er macht, wenn er dahinterkommt. Man weiß,
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