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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Anfängerin weiß, für Chaos steht.
    Du hast mein Haar und mein Lächeln. Du hast auch meine Dickköpfigkeit. Es ist ein bißchen so, als käme mein vergangenes Selbst zu Besuch und ich würde mir wünschen, ich könnte mich selbst vor dem warnen, was mir bevorsteht.
    Du hast mir erzählt, was du aus deiner Kindheit noch in Erinnerung hast, aber du hast mich nicht gefragt, woran ich mich erinnere. An alles, hätte ich gesagt, wenn du danach gefragt hättest - an den Augenblick, als du auf diese Welt kamst und eng zusammengerollt wie eine Schnecke an meinem verwaschenen Krankenhaushemd lagst, an das Gefühl deiner Zöpfe zwischen meinen Fingern, daran, wie ich dir einen Kuß geben wollte, als Charlie dich fürs Wochenende abholte, und daß ich, als ich deine Wange verfehlte, davon ausging, daß ich noch unzählige Gelegenheiten haben würde, es richtig zu machen.
    Nachdem du verschwunden warst, bin ich nach Mexiko gefahren, um eine bruja zu besuchen, bei der meine Mutter gelernt hatte. Sie wohnte in einer Hütte mit drei blauen Leguanen, die sich im Haus frei bewegen konnten und, so ging das Gerücht, früher einmal Männer gewesen waren, die sie schlecht behandelt hatten. Ich fuhr am 13. Juni, dem Fest des heiligen Antonio de Padua, zu ihr. Im Wartezimmer drängten sich die Hilfesuchenden und vertrieben sich die Zeit damit, einander ihre traurigen Geschichten zu erzählen: Eine Frau hatte den Diamantring ihrer Großmutter in einer öffentlichen Toilette liegenlassen; ein älterer Mann hatte die Besitzurkunde für sein Haus verlegt; ein Kind hatte in der Hand ein Flugblatt mit der Überschrift P erro Perdido mit einem Foto von dem entlaufenen Vierbeiner, einem Jagdhund mit leuchtenden Augen; einem Priester war der Glaube abhanden gekommen. Ich wartete stumm und schaute den pickenden Hühnern draußen im Hof zu. Als ich an die Reihe kam, ging ich ins santuario und reichte der bruja die erforderliche kleine Statue von San Antonio sowie das Blatt Papier mit meiner handschriftlichen Beschreibung dessen, was ich verloren hatte.
    Sie sprach ein leises Gebet und wickelte die Statue in das Papier ein. Sie band es mit einer roten Kordel zu.
    »Hundert Pesos«, sagte sie. Ich bezahlte und fuhr wieder Richtung Norden, um an dem ersten Gewässer, das ich sah, anzuhalten. Ich warf das Päckchen so weit ich konnte in den See und wartete ab, bis ich glaubte, daß es bis auf den Grund gesunken war.
    San Antonio ist der Schutzheilige für Dinge, die verschwunden sind. Wer an seinem Festtag ein Opfer darbringt, bekommt das, was er verloren hat, innerhalb eines Jahres zurück. Es sei denn, es ist zerstört worden.
    Ich habe die mexikanische bruja bis zu ihrem Tod jedes Jahr im Juni besucht und sie jedesmal um den gleichen Zauber gebeten. Jahr für Jahr, wenn du wieder nicht zurückgekommen warst, gab ich weder ihr noch San Antonio die Schuld. Ich dachte, es wäre mein Fehler, daß ich irgend etwas in deiner Beschreibung, die jedes Jahr länger wurde, ausgelassen oder falsch formuliert hatte. In den folgenden dreihundertvierundsech-zig Tagen feilte ich dann an dem Text herum, den ich der bruja beim nächsten Mal übergeben wollte, falls du bis dahin noch immer nicht aufgetaucht wärest.
    Die bruja ist schon lange tot, aber jetzt weiß ich, was ich hätte schreiben sollen. Achtundzwanzig Jahre ist eine lange Zeit, um darüber nachzudenken, warum ich dich geliebt habe, und zwar nicht aus den Gründen, die ich zuerst vermutet hatte: Weil ich dich unter meinem Herzen getragen habe oder weil du die Jugend festhieltest, die ich Tag für Tag mehr verlor, oder weil du dich vielleicht eines Tages um mich kümmern würdest, wenn ich selbst nicht mehr dazu imstande wäre. Liebe ist keine Gleichung, sie ist kein Vertrag, und sie ist kein Happy-End. Sie ist die Schiefertafel unter der Kreide und der Boden, aus dem sich Gebäude erheben und der Sauerstoff in der Luft. Sie ist der Ort, zu dem ich zurückkehre, ganz gleich, wo ich war. Ich habe dich geliebt, Bethany, weil du die einzige Beziehung warst, die ich mir nicht verdienen mußte. Als du auf die Welt kamst, liebtest du mich, selbst als ich es nicht verdiente.

VIER
    Mitunter muß man ein Wesen neu lehren, wie schön es ist.
    GALWAY KINNELL, Der hl. Franziskus und die Sau

ERIC
    Als ich dreizehn war, lernte ich das vollkommene Mädchen kennen. Sie war fast so groß wie ich, hatte maisblondes Haar und gewitterfarbene Augen. Sie hieß Sondra. Sie roch nach frisch gemähtem Gras und Rasensprenger -

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