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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Sophie und ich umgeben von Ruthanns Trödel auf dem Rasen am Museum, während sie im Barbie-Trenchcoat durch die Menge schlendert und ihre Ware zeigt. Die Leute sitzen auf Klappstühlen oder Decken, trinken Wasser aus Flaschen und essen in Öl gebackene Brotringe für vier Dollar. Vor dem Pavillon, im Schatten eines Sonnendachs, sitzt eine Phalanx von Männern im Kreis über eine gewaltige Trommel gebeugt. Ihre Stimmen steigen ineinander verschlungen in den Himmel
    Viele Zuschauer sind Weiße, aber die meisten sind Indianer. Sie tragen alles mögliche, von traditioneller Tracht über Jeans bis hin zu T-Shirts, bedruckt mit der amerikanischen Flagge. Ein paar von den Männern haben das Haar zu Zöpfen geflochten oder sich einen Pferdeschwanz gebunden, und alle haben sie ein Lächeln auf den Lippen. Etliche Mädchen tragen das Haar ebenso an den Seiten aufgewickelt wie Sophie.
    Plötzlich tritt ein Tänzer in den Kreis. »Ladys und Gentlemen«, verkündet der Conferencier, »begrüßen Sie mit mir Derek Deer aus Sipaulovi im Hopiland.
    Der Junge sieht aus wie höchstens sechzehn. Wenn er sich bewegt, klingeln die Glöckchen an seiner Kleidung. Quer über die Schultern und an den Armen trägt er einen aufgenähten Regenbogen aus Fransen, und um die Stirn hat er ein Lederband mit einer Regenbogenscheibe in der Mitte. Unter dem Lendenschurz trägt er eine Fahrradhose
    Der Junge legt fünf Reifen von je knapp einem halben Meter Durchmesser auf den Boden, und während die Trommler den Rhythmus vorgeben, fängt er an zu tanzen. Er stampft zweimal mit dem rechten Fuß auf, um dann in Sekundenschnelle den ersten Reifen hoch zu kicken und aufzufangen.
    Das gleiche macht er mit den anderen vier Reifen, die auf einmal zu einer Verlängerung seines Körpers werden. Er stellt sich in zwei hinein und legt die übrigen drei übereinander, dann läßt er die oberen auf- und wieder zuschnappen wie ein großes Gebiß. Seine Füße sind ruhelos, er tanzt aus den Reifen hinaus und fächert alle fünf über seinen Schultern auf, um sich in einen Adler zu verwandeln. Von einem Rodeopferd wird er zur Schlange und zu einem Schmetterling. Dann windet er die Reifen ineinander, ein Adas, der seine Last aufbaut, und läßt diese dreidimensionale Kugel in die Mitte seiner runden Bühne kreisen. Untermalt vom Geschrei der Trommler tanzt er einen letzten Kreis und sinkt schließlich auf ein Knie.
    So etwas habe ich noch nie gesehen. »Ruthann«, sage ich, als sie klatschend neben mich tritt, »das war sagenhaft. Das war -«
    »Kommen Sie, wir sagen ihm guten Tag.« Sie bahnt sich vorsichtig einen Weg durch die Leute, die auf dem Gras lagern, bis wir hinter dem Pavillon sind. Der Junge ist in Schweiß gebadet und beißt gerade von einem Energieriegel ab. Aus der Nähe erkenne ich, daß der Regenbogen auf seinem Kostüm aus handgenähten Bändern besteht. Ruthann zupft den Jungen am Ärmel. »Sieh sich einer das an. Hängt nur noch an einem einzigen Faden«, sagt sie und schnalzt mit der Zunge. »Deine Mutter sollte endlich mal nähen lernen.«
    Der Junge grinst. »Meine Tante könnte das reparieren«, sagt er, »aber als Geschäftsfrau hat die ja leider keine Zeit für mich.« Er umarmt Ruthann herzlich. »Oder hast du vielleicht dein Nähzeug dabei?«
    Ruthann hält den Jungen auf Armeslänge von sich. »Du siehst deinem Vater immer ähnlicher«, verkündet sie, und das Lächeln im Gesicht des Jungen wird breiter. »Derek, das sind Sophie und Delia, ikwaatsi.«
    Ich schüttele ihm die Hand. »Das war ein wunderbarer Tanz.«
    Sophie bückt sich zu einem der Reifen und versucht, ihn mit dem Fuß hochschnellen zu lassen. Er macht einen kleinen Satz, und Derek lacht.
    »Und, wie geht's dir, Tantchen?« fragt er. »Mom hat gesagt ... sie hat erzählt, daß du bei Lillian Keem warst.«
    Etwas verdunkelt Ruthanns Gesicht, verschwindet aber ebenso schnell wieder. »Ach, reden wir nicht von mir. Sag mir lieber, ob ich darauf setzen soll, daß du gewinnst.«
    »Ich wäre schon froh, wenn ich dieses Jahr unter die ersten drei komme«, erwidert Derek. »Ich hatte nicht viel Zeit zum Trainieren, bei allem, was passiert ist.«
    Ruthann gibt ihm einen Stups gegen die Schulter und deutet dann nach oben. An einem ansonsten strahlendblauen Himmel schwebt eine kümmerliche Regenwolke. »Ich glaube, dein Vater ist gekommen, um dafür zu sorgen, daß du gewinnst.«
    Derek blickt zu der Wolke hoch. »Kann sein.«
    Dann zeigt er Sophie, wie man mit dem Fuß einen Reifen

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