Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
wie das Wissen, wer du bist.
»Haben Sie Ihre Mutter gesehen, seit Sie hier sind?« fragt Ruthann.
»Es ist nicht besonders gut gelaufen«, sage ich zögernd.
»Wieso denn nicht?«
Ich bin noch nicht in der Verfassung, ihr von dem Alkoholproblem meiner Mutter zu erzählen. »Sie ist nicht so, wie ich erwartet hatte.«
Ruthann wendet den Kopf und blickt zum Fenster hinaus. »Das ist keiner«, sagt sie.
Ruthann spannt mich bei der Arbeit an ihren Puppen ein. Einmal, als wir bei ihr am Küchentisch sitzen und an der »Geschiedenen Barbie« basteln - sie wird zusammen mit Kens Boot, Kens Auto und der Besitzurkunde von Kens Haus angeboten -, fragt sie: »Was machen Sie in New Hampshire beruflich?«
Ich beuge mich mit der Klebepistole tiefer über die Puppe, um einen Knopf zu befestigen. »Greta und ich suchen Leute.«
Ruthann runzelt die Stirn. »So was wie die Polizeihundestaffel?«
»So ungefähr, nur daß wir mit einer ganzen Reihe von Polizeidienststellen zusammenarbeiten.«
»Und warum machen Sie das hier nicht auch?«
Ich blicke zu ihr hoch. Weil mein Vater im Gefängnis sitzt. Weil ich mich schäme, so einen Beruf auszuüben, ohne zu ahnen, daß ich selbst vermißt war. »Greta ist nicht für die Wüste ausgebildet«, sage ich, weil das die erste Ausrede ist, die mir einfällt.
»Dann bilden Sie sie eben für die Wüste aus.«
»Ruthann«, sage ich, »das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für uns, über so was nachzudenken.«
»Ihr könnt das ohnehin nicht entscheiden.«
»Aha. Und wer entscheidet das dann bitte schön?«
»Die küskuska. Die, die verschollen sind.« Sie beugt sich wieder über ihre Arbeit.
Auf dem Weg in die Wüste erzählt Fitz mir erstaunliche Geschichten: von einem Herzpatienten, der nach der Transplantation aufwachte und Sehnsucht nach der französischen Riviera verspürte, obwohl er noch nie aus Kansas rausgekommen war; von einer Antialkoholikerin, die nach dem Erhalt einer Spenderniere anfing, den gleichen Martini zu trinken wie der, für den ihre Spenderin eine Vorliebe hatte.
»Logisch wäre es«, sage ich, »wenn die Erinnerung daran, als ich dich zum ersten Mal gesehen hab, in meinen Augäpfeln gespeichert wäre.«
Fitz zuckt die Achseln. »Vielleicht ist das ja so.«
»Es gab da diesen Typen, der um 1900 herum einen Unfall mit einem Eisenspieß hatte, der sich ihm ins
Gehirn gebohrt hat«, sage ich herausfordernd. »Als er wieder aufwachte, sprach er Kirgisisch -«
»Na, das möchte ich aber stark bezweifeln«, fällt Fitz mir ins Wort.
»Was, wenn das Gehirn auch Erinnerungen speichert, die nicht unbedingt zu uns gehören?« fahre ich fort. »Was, wenn wir mit einem ganzen Eisberg von Erfahrungen verdrahtet sind und unser Verstand nur die Spitze davon benutzt?«
»Ein cooler Gedanke ... daß du und ich vielleicht dieselben Erinnerungen haben, nur weil wir so sind, wie wir sind.«
»Du und ich haben dieselben Erinnerungen«, stelle ich klar.
»Ja, aber meine Erinnerung, Eric nackt gesehen zu haben, hat eine ganz andere kausale Wirkung auf meinen Körper«, sagt Fitz lachend.
»Vielleicht erinnere ich mich gar nicht wirklich an das Zitronenbäumchen. Vielleicht hat ja jeder so einen Zitronenbaum im Kopf.«
»Ja«, lacht Fitz, »aber meiner ist ein Pacer, Baujahr 7 8.«
»Sehr witzig -«
»Es war nicht komisch, wenn man selbst am Steuer saß. Himmel, erinnerst du dich, wie die Karre auf dem Weg zum Abschlußball stehengeblieben ist?«
»Ich erinnere mich an die Ölflecken auf dem Kleid von deiner Freundin. Wie hieß sie noch? Carly ...?«
»Casey Bosworth. Und sie war nicht mehr meine Freundin, als wir endlich ankamen.«
Ich biege von der Straße in einen Weg aus Kies und roter Erde und halte an, dann reiche ich Fitz eine Fla-sche Wasser und eine Rolle Klopapier. »Du weißt ja, was du zu tun hast.«
Er soll eine Spur legen, der Greta und ich folgen werden, wie er das in New Hampshire schon seit Jahren macht. Doch da ich mich hier in dem Gelände nicht auskenne, wird Fitz unterwegs an Bäumen und Kakteen Fetzen von Klopapier aufhängen, damit ich weiß, daß Greta auf der richtigen Fährte ist. Er steigt aus dem Wagen und beugt sich zum Fenster herein. »Hast du mir eigentlich schon erklärt, wie ich mich am besten vor Kojoten schütze?«
»Kojoten sind nicht das Problem«, sage ich zuckersüß. »Aber die Schlangen machen mir Sorgen.«
»Witzig«, erwidert Fitz, und er marschiert los, ein kräftiger Rothaariger, der sich im Nu einen
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