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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Haare glatt und richtet ihr den Kragen der Bluse, bis die Kleine sich umdreht und die Hand ihrer Mutter abschüttelt. »Hat die Frau Kinder?«, fragt Sophie.
    Delia zögert. »Nein«, sagt sie.
    Elise Vasquez öffnet die Tür und saugt Delia mit Blicken förmlich auf. Ich habe plötzlich wieder Delia gleich nach Sophies Geburt vor Augen, im Krankenhausbett, als die Welt auf einmal so klein geworden war, daß nur noch die beiden darin Platz hatten. Ich schätze, so ist es für jede Mutter und ihr Kind.
    Wer Delia nicht so gut kennt wie ich, würde das kleine Zucken in ihrer linken Hand nicht bemerken, eine nervöse Angewohnheit. »Hi«, sagt sie. »Ich hab gedacht, wir versuchen es noch mal.«
    Aber Elise starrt Sophie an, als würde sie einen Geist sehen - und genau das ist Sophie natürlich: ein kleines Mädchen, das große Ähnlichkeit mit dem Mädchen hat, das Elise Vasquez verlor. »Das ist Sophie«, stellt Delia sie vor. »Und Soph, das ist ...« Sie verstummt, ihre Wangen glühen, und sie sagt gar nichts.
    »Ich heiße Elise«, sagt Delias Mutter, und sie geht in die Hocke, sieht ihrer Enkeltochter in die Augen und lächelt.
    Elise trägt ihr glänzendes, dunkles Haar zu einem Nackenknoten gebunden. Sie hat feine Fältchen um die Augen und in den Mundwinkeln. Ihre Bluse ist mit bunten Vögeln bestickt, und auf ihrer Jeans sind mit Filzstift Textzeilen gekritzelt. Eine kann ich entziffern: Die Vergangenheit ist ein Eimer voll Asche.
    »Carl Sandburg«, murmele ich.
    Elise blickt anerkennend zu mir hoch. »Heutzutage lesen nicht mehr viele Leute Gedichte.«
    »Fitz schreibt«, sagt Delia.
    »Für eine zweitklassige Lokalzeitung.«
    Elise fährt mit einem Finger über die Gedichtzeile auf ihrer Jeans. »Ich habe es mir immer toll vorgestellt, Gedichte oder Prosa schreiben zu können«, sagt sie. »Die richtigen Worte zu finden.«
    Ich lächele höflich. Die Wahrheit ist, wenn es mir wie durch ein Wunder gelingt, die richtigen Worte zu finden, dann nur deshalb, weil ich all die falschen schon verbraucht habe. Und wenn man es sich richtig überlegt, ist das, was ich nicht sage, wahrscheinlich wichtiger als das, was ich sage.
    Aber das weiß Elise Vasquez womöglich bereits.
    Sie starrt durch die Terrassentür in den Garten, wo Victor Sophie ein Nest zeigt, in dem die Vögelchen ausschlüpfen. Er hebt sie hoch, damit sie besser sehen kann, und dann verschwinden sie hinter einer Kakteenwand.
    »Danke«, sagt Elise, »daß du sie mitgebracht hast.«
    Delia wendet sich ihr zu. »Ich werde Sophie nicht von dir fernhalten.«
    Elise blickt mich unsicher an.
    »Er ist mein bester Freund«, sagt Delia. »Er weiß Bescheid.«
    In dem Augenblick kommt Sophie zurück ins Haus gelaufen. »Das ist cool ... die haben Zähne auf dem Schnabel«, sagt sie atemlos. »Können wir bleiben, bis sie ausgeschlüpft sind?«
    Sophie zieht an Delias Hand, bis sie aufsteht. Victor steht an der Tür und lacht. »Ich hab ihr gesagt, es könnte eine Weile dauern«, sagt er.
    Delia antwortet nicht, aber sie blickt ihre Mutter an. »Das macht nichts«, sagt sie. »Ich kann warten.« Sie läßt sich von Sophie nach draußen ziehen.
    Elise Vasquez und ich stehen Seite an Seite und beobachten die Frau, von der wir beide glauben, daß wir sie verloren haben, obwohl wir sie vielleicht niemals richtig hatten.
    Auf der Heimfahrt machen wir einen Zwischenstop, um einen Kaffee zu trinken. Sophie hockt auf dem Gehweg vor dem Cafe und malt mit bunter Kreide Gretas Umrisse nach. Delia trommelt mit den Fingern auf den Rand ihrer Tasse, macht aber keine Anstalten, einen Schluck zu trinken. »Kannst du dir die beiden zusammen vorstellen?« fragt sie schließlich.
    »Elise und Victor?«
    »Nein«, sagt Delia. »Elise und meinen Vater.«
    »Dee, niemand kann sich vorstellen, wie die eigenen Eltern es machen.«
    Meine zum Beispiel. Es ist eine traurige Wahrheit, daß meine Eltern es nicht gemacht haben. Natürlich haben sie mich zustande gebracht, aber die meiste Zeit meiner Kindheit und Jugend vögelte mein handelsrei-sender Vater eine Stewardeß in einer anderen Stadt, und meine Mutter tat erbittert so, als hätte sie keine Ahnung.
    Aber mein Vater war nicht Andrew Hopkins. In all den Jahren, die ich Delia kenne, hatte er meines Wissens keine ernste Beziehung, daher kann ich mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wonach er bei einer Frau suchen würde. Aber ehrlich gesagt, ich hätte niemals gedacht, daß er sich in eine Frau wie Elise verliebt. Sie erinnert mich

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