Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Arme legte, hielt ich länger fest, als nötig gewesen wäre. Ich wollte ganz sichergehen, daß seine Hände ruhig waren, ehe ich losließ.
Ich habe siebzehn Nachrichten auf der Mailbox, alle von meiner Chefredakteurin. In der ersten bittet sie mich um einen Rückruf. In der dritten ist es schon keine Bitte mehr. Nachricht elf droht, wenn man Affen ins Weltall schicken kann, kann man ihnen bestimmt auch beibringen, für die New Hampshire Gazette zu schreiben.
Marges letzte Nachricht nehme ich wirklich ernst: Wenn sie um neun Uhr morgen früh nichts von mir auf dem Schreibtisch hat, füllt sie meine Seite mit einer von den Fotokopien, die ich auf der letzten Weihnachtsleier in der Redaktion von meinem nackten Hinterteil gemacht habe.
Also lasse ich die Jalousien in meinem Hotelzimmer herunter. Ich stelle den Fernseher lauter, um die Stöhngeräusche eines Pärchens eine dünne Wand von mir entfernt zu übertönen. Ich drehe die Klimaanlage hoch. Wenn man über die Korridore der Haftanstalt Madison Street geht, tippe ich, erwartet man nicht, einem Menschen wie Andrew Hopkins zu begegnen.
Ich schüttele den Kopf und lösche den Satz wieder.
Wie jeder Vater möchte Andrew Hopkins am liebsten nur über seine Tochter sprechen.
Auch den Satz befördere ich ins Nirwana.
Andrew Hopkins hat Gespenster in den Augen, schreibe ich und denke dann: wie wir alle.
Ich tigere im Zimmer umher, versuche meine Gedanken zu ordnen. Aber ich kann nur an eines denken: Etwas habe ich bisher verpaßt, weil ich nicht mutig genug war. Ich habe Delia nie gesagt, wie sehr ich sie liebe, und wenn ich es ihr sagen würde, würde sie mich womöglich so anschauen, wie sie Eric immer anschaut.
Was ich schreiben möchte - was ich schreiben muß -, ist nicht das, wofür mich die New Hampshire Gazette bezahlt. Ich setze mich wieder an meinen Laptop und lösche alles, was ich geschrieben habe. Ich fange ganz neu an.
SECHS
Doch warum ist damit Denn alles schon gesagt? Wir widmeten uns andren Dingen. Ich kann mich nicht erinnern -du vielleicht? -
Jemals wieder dort gewesen zu sein.
ROBERT FROST, The Exposed Nest
ERIC
Chris Hamiltons Anwaltsgehilfin versucht drei Tage lang herauszufinden, was aus den Leuten geworden ist, die vor achtundzwanzig Jahren die Nachbarn von Elise und Andrew waren. Kurz nach der Mittagspause Steckt sie ihren Kopf in den Besprechungsraum. »Möchten Sie zuerst die gute oder die schlechte Nachricht?«
Ich blicke von dem Stapel Unterlagen auf, den ich durcharbeite. »Gibt's tatsächlich eine gute Nachricht?«
»Leider nein. Aber ich hab gedacht, ich verschaff Ihnen mal ein kurzes Glücksgefühl.«
»Wie lautet die schlechte Nachricht?«
»Alice Young«, sagt sie. »Ich hab sie gefunden.«
Alice Young war halbwüchsig, als sie mit ihren Eltern neben Elise und Andrew wohnte; sie war mal Delias Babysitter. »Und?«
»Sic lebt in Vienna, Virginia.«
»Wunderbar«, sage ich. »Schicken Sie ihr eine Vorladung.«
»Das sollten Sie vielleicht noch mal überdenken. Sie lebt bei den Schwestern vom Orden des blutigen Kreuzes.«
»Sie ist Nonne?«
»Sie ist Nonne und hat vor zehn Jahren ein Schweigegelübde abgelegt«, sagt die Anwaltsgehilfin.
»Um Himmels willen ...«
»So ungefähr. Aber ich hab die andere Nachbarin ausfindig gemacht, Elizabeth Peshman. Sie wohnt in einer Wohnanlage namens Sunset Acres. Ich nehme an, das ist eine Seniorenresidenz.«
Ich notiere es mir. »Haben Sie dort angerufen?«
»Geht keiner ran«, sagt sie.
Die Adresse ist in Sun City, Arizona. Das kann nicht sehr weit sein. »Ich fahre hin.«
Nach zwei Stunden erreiche ich Sun City, und dort sind so viele Seniorenresidenzen, daß ich mich frage, wie ich die richtige finden soll. Doch die Frau an der Tankstelle, wo ich tanke und einen Schokoriegel kaufe, kann etwas mit dem Namen anfangen. »An der zweiten Ampel links. Das Schild können Sie gar nicht übersehen«, sagt sie, während sie kassiert.
Vom ersten Eindruck her scheint Sunset Acres kein schlechtes Plätzchen für den Lebensabend zu sein. Ich biege in eine lange Zufahrtsstraße ein, die mit Saguaros und Wüstensteingärten gesäumt ist. An einem verputzten Wachhäuschen muß ich halten - den Senioren ist Ungestörtheit offenbar wichtig. Der Mann in dem Häuschen hat einen gebeugten Rücken und Altersflecken und sieht aus, als könnte er selbst ein Bewohner der Seniorenresidenz sein. »Hi«, sage ich. »Ich möchte zu Elizabeth Peshman. Ich habe angerufen, aber -«
»Die Leitung
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