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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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an eine Orchidee, exotisch und zart. Andrew ist mehr wie Unkraut: unscheinbar, unverwüstlich, stärker, als man denkt.
    Ich blicke auf die Rundung von Delias Hals, auf die knochigen Spitzen ihrer Schulterblätter, ein Gebiet, das Eric kartographisch erfaßt hat. »Manche Leute sind nicht füreinander bestimmt«, sage ich.
    Plötzlich kommt ein abgerissener Mann mit einem Haarnetz auf dem Kopf und Flip-Flops an den Füßen auf uns zu. Er hat einen Stapel Flugblätter in der Hand. Sophie verkriecht sich ängstlich hinter dem Stuhl ihrer Mutter. »Mein Bruder«, fragt der Vagabund mich, »hat Jesus Christus dich gefunden?«
    »Ich wußte gar nicht, daß er mich sucht.«
    »Ist er dein persönlicher Erretter?«
    »Ach wissen Sie«, sage ich, »ich hoffe immer noch, mich selbst retten zu können.«
    Der Mann schüttelt den Kopf, Dreadlocks wie Schlangen. »Die Kraft hat keiner von uns«, erwidert er und geht weiter.
    »Ich glaube, das ist verboten«, sage ich knurrend zu Delia. »Zumindest sollte es verboten sein. Niemand sollte zum Kaffee eine Portion Religion schlucken müssen.«
    Als ich aufblicke, starrt sie mich an. »Wieso glaubst du nicht an Gott?« fragt Delia.
    »Wieso tust du's?«
    Sie blickt zu Sophie hinunter, und ihr Gesicht wird ganz weich. »Wahrscheinlich weil manche Dinge zu unglaublich sind, als daß der Mensch allein den Ruhm dafür bekommen sollte.«
    Oder die Schuld, denke ich.
    Zwei Tische weiter spricht der Eiferer ein älteres Paar an. »Glaubt an den Vater«, predigt er.
    Delia dreht den Kopf in seine Richtung. »Das ist nie ganz einfach«, sagt sie.
    Als Delia mit Sophie schwanger war, habe ich sie zur Schwangerschaftsgymnastik begleitet. Ich bin für Eric eingesprungen, der geschworen hatte, es diesmal ganz bestimmt zu schaffen. Und so saß ich auf einmal zusammen mit anderen Paaren im Kreis und versuchte, mein rasendes Herz wieder zu beruhigen, als die Hebamme sagte, Delia solle sich zwischen meine Beine setzen, damit ich mit den Händen über ihren gewölbten Bauch streichen konnte.
    Die Wehen setzten ein, als Delia im Supermarkt an der Tiefkühltheke stand, und sie rief mich aus dem Büro des Filialleiters an. Als wir im Krankenhaus ankamen, war ich schon fast panisch, weil ich nicht wußte, wie ich sie bei der Geburt unterstützen sollte, ohne ihr zwischen die Beine schauen zu müssen. Vielleicht könnte ich um eine Position weiter oben bitten, in der Nähe ihrer Schultern. Vielleicht könnte ich die Ärztin beiseite neben und ihr die Situation etwas genauer erklären.
    Wie sich herausstellte, waren meine Sorgen völlig überflüssig. Als der Anästhesist Delia auf die Seite rollte, um ihr eine Betäubungsspritze zu geben, warf ich einen Blick auf die Nadel, fiel prompt in Ohnmacht und mußte mit sechzehn Stichen am Haaransatz genäht werden.
    Ich wachte im Bett neben ihr auf. »Hey, Cowboy«, sagte sie und lächelte über den winzigen Kopf hinweg, der aus der Decke in ihren Armen hervorlugte. »Danke für die Hilfe.«
    »War mir ein Vergnügen«, sagte ich und verzog das Gesicht von dem pochenden Schmerz an meiner Schädeldecke.
    »Sechzehn Stiche«, erklärte Delia und fügte dann hinzu: »Bei mir sind's nur zehn.«
    Es dauerte einen Moment, bis der Groschen fiel. »Du fällst mir doch nicht schon wieder in Ohnmacht, oder?« fragte Delia besorgt.
    Nein, tat ich nicht. Statt dessen wankte ich an ihr Bett, um mir das Baby anzusehen. Ich erinnere mich, wie ich in das weiche Blau von Sophies Augen schaute und darüber staunte, daß es nun einen weiteren Menschen auf dieser Welt gab, der wußte, wie es war, völlig mit Delia verbunden zu sein, und der bereits erfahren hatte, daß es nicht immer so bleiben konnte.
    Ich hielt Sophie im Arm, als Eric hereinkam. Er ging direkt zu Delia und küßte sie auf den Mund, dann legte er einen Moment lang die Stirn an ihre, als wollte er sie auf diese Weise an seinen Gedanken teilhaben lassen. Dann drehte Eric sich um und blickte gebannt auf seine Tochter. »Du kannst sie ruhig halten«, drängte Delia.
    Doch Eric machte keine Anstalten, Sophie von mir zu nehmen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah, was Delia anscheinend nicht gesehen hatte - Erics Hände zitterten so heftig, daß er sie tief in den Taschen seiner Jacke vergraben hatte.
    Ich drückte ihm das Baby gegen die Brust, so daß ihm nichts anderes übrigblieb, als sie zu nehmen. »Es ist gut«, sagte ich leise. - Zu Eric? Zu Sophie? Zu mir selbst? - Und als ich diesen winzigen Preis in Erics

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