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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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sich danach bücken wollte, winkte Julian ab. »Lassen Sie nur, morgen früh wird sich eines der Mädchen darum kümmern.« Er hatte noch zwei Orangen und Schokolade in dem geplünderten Korb gefunden und hielt Samuel beides entgegen. Diese schlichte Geste betonte einmal mehr den Unterschied zwischen ihnen beiden, und doch gefiel Julian der Gedanke, dass Samuel einen Teil ihres nächtlichen Festmahls mit hinunter in den Dienstbotentrakt nehmen würde, ohne dass die Kostbarkeiten beim ersten Licht des Tages wie im Märchen zu Staub zerfielen. Obwohl er Samuels Gesicht nicht sehen konnte, erkannte er das Zögern an seiner Haltung. »Nehmen Sie schon«, forderte er den jungen Hausdiener auf. »Es wird doch ein Mädchen geben, das Sie mögen, oder eine kleine Schwester, die sich darüber freut. Hier oben ist es so überflüssig wie die Besorgnis meiner Tante.«
    Ihre Finger berührten sich kurz, als Samuel das Geschenk annahm. Sie hatten sich noch nie die Hand gegeben, denn das sahen die Regeln des Protokolls zwischen ihren beiden Klassen nicht vor. »Danke, das ist sehr großzügig von Ihnen, Sir«, sagte Sam, bevor er zu seiner alten Form zurückfand.
    »Lassen Sie nur, ich habe es genossen«, erklärte Julian und wusste, dass es weit mehr als eine höfliche Floskel war. Aus einem plötzlichen Impuls heraus streckte er dem Hausdiener die Hand entgegen. Es war ein kurzer, fester Händedruck, wie ein stummer Pakt. Dann blieb Julian in seinem Zimmer zurück, während Samuel ins Kellergeschoß hinabging, doch die Überreste des Festessens vor dem Kamin gaben ihm das Gefühl, nicht länger allein zu sein.
    Es begann stets auf dieselbe Weise. Der Sand knirschte unter Janes Sohlen und trotz der Hitze draußen im Tal war der Stein unter ihren Fingern kühl. Ihr Vater hatte die letzte Kerze ausgeblasen, sodass sie im Inneren des Berges in einer wahrhaft ägyptischen Finsternis standen. Seine großen Hände ruhten schwer auf ihren Schultern. »Du musst hier unten bleiben, Jane, was immer auch geschieht!« Das Flüstern schien die Stille um sie herum nur noch zu vertiefen, als würde sich das Schweigen von Jahrtausenden in der Dunkelheit ausbreiten und greifbar Form annehmen. »Ganz gleich, was du hörst. Du wirst auf keine Rufe reagieren und auch keinen Schritten folgen. Erst, wenn du ganz sicher bist, dass ich zurück bin, darfst du dich wieder rühren.«
    Ihr Vater fragte sie nicht, ob sie dazu imstande war, stundenlang allein in einer unterirdischen Grabanlage ohne Licht auszuharren. Stattdessen drängte er sie in eine der Nischen, die den niedrigen Gang zu beiden Seiten säumten. Die Vertiefung im Stein war gerade groß genug für ihren schmalen Körper und Jane war klein für ihr Alter. Dennoch streiften ihre Schultern zu beiden Seiten die massiven Felswände.
    »Setz dich auf den Boden«, forderte ihr Vater sie auf. Als Jane stumm in die Hocke ging, streiften seine Finger ihre zerzausten Haare. »Bleib hier, bis ich dich hole, und hab keine Angst«, verlangte er ein letztes Mal.
    »Habe ich nicht«, log Jane. Weit mehr als die verwinkelte, halb verschüttete Grabanlage im Fels beunruhigte sie das Verhalten ihres Vaters. Doch auch ohne eine Laterne wusste sie, dass er jetzt zufrieden lächelte.
    Bis zu diesem Punkt blieb der Traum immer derselbe, sodass Jane bereits wusste, dass sie nur träumte. Doch ab dem Augenblick, in dem sie allein in der Felsnische tief im Berg zurückblieb, um auf ihren Vater zu warten, war der Verlauf jedes Mal ein anderer. Ihr Verstand gaukelte ihr Schritte in der Dunkelheit vor, und tanzende Lichter. Die goldenen Masken ägyptischer Gottheiten blitzten im Fackelschein auf und verschwanden wieder. Die Zeit verlor jede Bedeutung. Sie dehnte sich aus oder ballte sich zusammen. In der vollkommenen Schwärze des Stollens schienen die Gesetze der Realität außer Kraft gesetzt worden zu sein. Jane hätte später unmöglich sagen können, wie lange sie tatsächlich in ihrem Versteck gewartet hatte. Die Luft war abgestanden, von Moder und süßlichem Rauch durchdrungen. Wie schon unzählige Male zuvor wusste Jane nicht, woher der duftende Rauch kam. War sie in der Grabkammer eingeschlafen? Oder durch die schlechte Luft in Ohnmacht gefallen? Und warum war sie trotz der Warnung ihres Vaters auf allen vieren aus ihrem Versteck gekrochen, als sie ihre Beine nicht mehr fühlen konnte?
    Anders als die letzten Male lief Jane im Traum nicht auf verschlungenen Wegen ins Ausgrabungslager zu rück. Sie verirrte

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