Wainwood House - Rachels Geheimnis
Korb zwischen ihnen ab. Dann begann er auszupacken. Er wickelte geräucherte Würste aus Wachspapier und schälte Orangen. Bald balancierte ein Töpfchen mit Senf auf der Sessellehne neben der Schale mit Creme. Sie hatten keine Servietten, sondern vor Fett glänzende Finger. Als Julian sich mit dem Handballen über den Mund wischte, glaubte er zu erkennen, dass Samuel sich ein wenig entspannte. Darüber freute er sich mehr, als es statthaft war.
»Einige der besten Nächte meiner Schulzeit verdanke ich Tante Frances’ Fresskörben«, erklärte er zwischen zwei Bissen Pastete. Als sie schließlich dazu übergingen, das Bier direkt aus der Flasche zu trinken, gab das dem nächtlichen Schlemmen endgültig den Anstrich eines Gelages.
»Sicher vermissen Sie Ihre Freunde, nachdem Sie so viele Jahre mit ihnen unter einem Dach gelebt haben«, merkte Samuel an, um eine zivilisierte Konversation bemüht.
»Nein, das kann ich eigentlich nicht sagen«, antwortete Julian viel ehrlicher, als es die Höflichkeit geboten hätte. »Ein oder zwei vielleicht. Diese Jungen haben keinen Augenblick vergessen, woher sie kamen und woher ich.«
Darauf wagte Samuel nichts zu erwidern. Er tarnte sein Schweigen mit einem tiefen Schluck Bier, doch Julian wurde das Gefühl nicht los, dass der Diener ihn aus den Augenwinkeln betrachtete.
»Wollten Sie schon immer in einem Haus wie diesem in Stellung gehen?«, erkundigte sich Julian neugierig. Er fragte gar nicht erst, ob Samuel seine Familie vermisste, die er das ganze Jahr über kein einziges Mal zu Gesicht bekam. Oder ob er es nicht eines Tages bereuen würde, sein ganzes Leben den Bedürfnissen einer fremden Familie untergeordnet zu haben, jede einzelne Stunde jedes einzelnen Tages. Julian war zu oft selbst beschämt worden, um andere Menschen unbedacht in Verlegenheit zu bringen. Er sah zu, wie Samuel zu einer Antwort ansetzte, zögerte und schließlich abwägend in die Überreste des Kaminfeuers starrte. »Vor mir waren bereits meine Eltern in Stellung gegangen, genau wie mein Onkel und meine kleine Cousine«, sagte Samuel leise. »Es ist eine gute Arbeit! Angesehen und ehrbar!«
Julian nahm an, dass sie das in den Augen der ärmeren Klasse tatsächlich war, doch in Wahrheit hatte er keine Vorstellung davon, wie Samuels Leben vor Wainwood ausgesehen hatte. Unter welchen Umständen musste ein Junge aufwachsen, dass er keine größere Hoffnung hegte, als eines Tages den eleganten Anzug eines Hausdieners zu tragen und ein silbernes Tablett auf seinen Händen zu balancieren? Um seinen Gast nicht aus seinen Gedanken zu reißen, schwieg er.
»Vielleicht werde ich mich eines Tages um die Stelle eines Kammerdieners bemühen.«
Das versonnene Lächeln auf Samuels Lippen fiel ein wenig zu schmal aus. Den Kopf zur Seite gewandt, bot er Julian einen guten Blick auf sein Profil. Die eine Hälfte seines Gesichts wurde noch von den glühenden Scheiten erhellt, während die andere im Dunkeln lag. Julian selbst saß tiefer in den Schatten des Zimmers verborgen, und nur seine Augen glänzten im Widerschein auf, wenn er sich zum Kamin umwandte.
»Ich sollte so gewissenhaft sein wie Sie, Samuel, und mich meiner Zukunft stellen«, sagte Julian. Vielleicht würde es dann sogar eine Zukunft mit Kammerdiener werden, wenn er es nur eines Tages über eine eigene Pfarrei oder den schlichten Posten eines Leutnants hinaus brachte.
»Tun Sie das denn nicht, Sir?«
»Ich versuche es jeden Tag aufs Neue, doch ich schei tere grandios dabei.« Diese nüchterne Feststellung schwebte schwerelos wie eine Feder in Julians Brust. Als er aufsah, bemerkte er den Widerhall seines Lächelns auf Samuels Gesicht. Der Diener prostete ihm über den geplünderten Korb hinweg zu.
»Auf das Scheitern der Gewissenhaftigkeit!«, brachte er einen Trinkspruch an.
»Hört, hört!«, lachte Julian und klopfte mit dem Fingerknöchel anerkennend gegen das braune Glas seiner Flasche, bevor er trank. Obwohl der Morgen immer näher rückte, fiel es ihm schwer, dieses Treffen, das aus der Zeit gefallen zu sein schien, aufzulösen. Dennoch erhob Julian sich von seinem Stuhl, als das Bier geleert war. »Sie sollten gehen, Samuel. Es dürfte schwer genug für Sie werden, in ein paar Stunden wieder aufzustehen.« Er konnte nicht verhindern, dass Bedauern in seiner Stimme mitklang.
Der Ort ihres Picknicks glich einem Schlachtfeld. Kuchenkrümel und Orangenschalen, Wurstpellen und leere Flaschen lagen auf dem Teppich vor dem Kamin. Als Samuel
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