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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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annähernd so Skandalösem hätte aufwarten können. Er gestand sich nach dem Dinner bestenfalls eine Zigarette zu. Er besaß kein Geld, das er verspielen konnte, und keine Eroberungen, deren seidene Strümpfe am nächsten Morgen in seinem Bett zu finden gewesen wären. Umso dankbarer war er seinem Diener dafür, dass er sich in dieser Nacht nicht die kleinste Verwunderung über seine späte Rückkehr anmerken ließ.
    Als Nächstes folgten die Weste und das Oberhemd. Julian setzte sich auf die Bettkante, damit Samuel ihm die Schuhe ausziehen konnte. Nachdem er auf Eton jeden dieser Handgriffe hundertmal selbst ausgeführt hatte, fühlte er sich noch immer unbehaglich dabei, sich diese einfachen Aufgaben von einem anderen jungen Mann abnehmen zu lassen. Julian wusste, dass er genau aus diesem Grund einen Hausdiener zugeteilt bekommen hatte. Und doch konnte er den Gedanken nicht abschütteln, dass er vermutlich selbst ein Leben lang keinen Kammerdiener würde bezahlen können. Worin bestand der Sinn, weiterhin das Leben eines reichen Erben zu führen, wenn er doch längst keiner mehr war? Anders als seine Schulkameraden konnte er kein Geld in London verprassen, keine Bildungsreise über den Kontinent machen und sich nicht nach einer geeigneten Heiratspartie umsehen. Er würde sich keinen eigenen Haushalt leisten können, selbst dann nicht, wenn er auch nur die geringste Neigung verspüren würde, sich zu vermählen. Er wollte das Geld seines Vormundes nicht für Pferderennen, Theaterbesuche oder am Spieltisch ausgeben, weil ihm nur zu bewusst war, dass er kein Anrecht darauf hatte. Obwohl ihn außer Tante Mildred niemand in der Familie bedrängte, wusste Julian, dass es seine Pflicht gegenüber den übrigen Goodalls war, endlich einen Weg in eine ehrenwerte Zukunft zu wählen. Für einen Gentleman von adeligem Geblüt, doch ohne Land und Titel, bedeutete das für gewöhnlich eine Karriere in der Armee oder das ehrwürdige Amt eines Priesters. Der Beruf eines Arztes oder Richters mochte auch gerade noch angehen, doch ein Gewerbe oder gar ein Handwerk waren absolut undenkbar.
    Julian bemerkte erst mit einiger Verspätung, dass Samuel ihm bereits aus dem Hemd geholfen hatte und ihm gerade das Nachthemd entgegen hielt. Wann hatte er sich so sehr daran gewöhnt, selbst beim Ankleiden bedient zu werden, dass er über dieses Verhalten nicht mehr nachdenken musste? Julian nahm dem anderen jungen Mann das Kleidungsstück ab. Er streifte es sich unwirsch über den Kopf. »Danke, Samuel, ich komme selbst zurecht«, sagte er etwas ruppiger als beabsichtigt. Aber auch das führte zu keiner Reaktion auf Sams Gesicht, oder wenn doch, dann ging sie in dem rötlichen Halbdunkel des Raumes unter.
    Erst jetzt fiel Julian auf, dass Sam kein Licht gemacht hatte, als würde die Helligkeit ihnen beiden nicht guttun. Er war ihm seltsam dankbar dafür. Barfuß und mit strubbeligen Haaren wollte er gerade ins Bad hinübergehen, als er einen Korb bemerkte. Wäre es im Zim mer nicht so dunkel gewesen, hätte er ihn kaum so lange übersehen können, denn er thronte gewaltig auf einem zierlichen Beistelltisch. Julian lupfte mit spitzen Fingern das Leinentuch, das die Schätze in den Tiefen des Flechtwerks vor neugierigen Augen verbergen sollte, und riskierte einen Blick. Prompt schlug ihm ein Hauch von Orange und Zimt entgegen. Er sah im Halbdunkel ein Marmeladenglas aufblitzen und erahnte die Konturen eines prächtigen Kuchens. »Großer Gott …«, murmelte er und fragte dann lauter über die Schulter gewandt: »Wann ist das hier angekommen?«
    Samuel stand schon an der Tür. Er hielt Julians Schuhe in der einen und seine schmutzige Wäsche in der anderen Hand. »Mit der Abendpost, Sir. Ich hätte es früher heraufgebracht, aber zwischen Tee und Dinner schien mir nicht der rechte Zeitpunkt dafür zu sein.«
    Julian murmelte etwas Zustimmendes. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich formlos am Nacken zu kratzen. Zum Teufel mit der Etikette, es war nach ein Uhr morgens, und vor ihm stand ein Präsentkorb, der den Anschein vermittelte, er müsse auf Wainwood vor dem Hungertod gerettet werden.
    »Hat jemand gesehen, dass der Korb in mein Zimmer gebracht wurde?«, hakte Julian sicherheitshalber nach.
    »Keiner der anderen Herrschaften«, erklärte Samuel stoisch. Bildete Julian es sich nur ein oder hatte er gerade im Schutze des Zwielichts einen Funken Schalk in den Augen seines Dieners aufblitzen sehen?
    »Tun Sie mir den Gefallen und

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