Wainwood House - Rachels Geheimnis
meiner Eltern und die Hilfe des Colonels haben etwas mit dem verschütteten Tempel zu tun, Samuel. Und mit der Ausgrabung meines Vaters.«
Wie schon zuvor im Park legte der Diener ihr vertraulich eine Hand auf die Schulter, und als wäre dies das Kommando an ihre Füße gewesen, hielt Jane an seiner Seite auf den Lieferanteneingang zu.
»Vielleicht gibt es einen Weg, ihm zu schreiben oder Erkundigungen über ihn einzuholen«, überlegte Samuel. »Aber erst einmal haben wir ein komplett verwahrlostes Hausmädchen und ein Tablett mit zerbrochenem Geschirr. Eines nach dem anderen.«
Er zog leise die Tür auf und spähte den Gang hinunter, bevor er Jane zuwinkte, ihm zu folgen. Doch anstatt sie zu Mrs Chambers zu führen oder in ihre Dachkammer hinaufzuschicken, schlug er den Weg zur Küche ein. Diesen Teil des unterirdischen Reiches hatte Jane bisher nur betreten, um Platten und Schüsseln entgegenzunehmen oder schmutziges Geschirr zum Spülen zu tragen. Doch jetzt zog Samuel sie geradewegs hinein.
Die Hitze der gewaltigen gusseisernen Öfen schlug ihnen als Erstes entgegen, noch bevor der Lärm eines Pulks von Küchenmädchen über sie hinweg brandete. Schüsseln klapperten, Töpfe brodelten und Messer hakten ein Stakkato auf dem schartigen Holz des Küchentisches. Befehle flogen im Kommandoton über die Schüsseln hinweg. Dampf stieg von den angerichteten Porzellanplatten und aus den glänzenden Kupfertöpfen auf. Die niedrigen Fenster knapp unter der Decke waren bereits vollständig beschlagen. Allein die Gaslampen an den Wänden beschienen die erhitzten Gesichter. Es duftete so verführerisch nach frisch gebratenem Fleisch, nach angedünsteten Zwiebeln und Karamellisiertem, dass Janes leerer Magen prompt vernehmlich zu knurren begann.
Inmitten ihrer Küchenmägde wandelte die französische Köchin Odette Baffour wie ein Jägersmann unter seiner Meute herum. Sie war eine Frau, die sich mit auffallender Glanzlosigkeit durchs Leben bewegte. Ihr Haar war mausbraun, ihr Teint blass und ihre Figur knochig. Ihr Gesicht war weder schön noch hässlich genug, um sich dem Betrachter ins Gedächtnis zu brennen. Auch die blaugrauen Kleider, die sie trug, verstärkten den Eindruck der Unscheinbarkeit noch. Dennoch war Madame Baffour imstande, die gesamte Küche mit all ihren angrenzenden Waschküchen, Dessertkammern und Anrichteräumen so sicher zu manövrieren wie eine Flotte unter der Leitung eines erfahrenen Admirals. Sie war noch recht jung für eine Köchin, kaum dreißig, doch lebende Hummer und filigrane Marzipanrosen wurden von ihr mit derselben Unerschrockenheit behandelt wie majestätische Hausdamen und zitternde Küchenmädchen. Mit knappbemessenen Bewegun gen arbeitete sie sich durch die Küche, schmeckte an einem Topf etwas ab, nahm einen anderen vom Feuer und dirigierte ihre Untergebenen mit knappen Befehlen und Fingerzeigen. Dabei war sie niemals hektisch, aber immer in Eile. Als sie sich zu Samuel und Jane umdrehte, erfasste sie den Kern des Problems mit einem Blick. Ihre mausbraune Augenbraue ruckte wortlos dem hellblauen Häubchen entgegen. Augenblicklich wies ihr ausgestreckter Zeigefinger auf eine angrenzende Tür im hintersten Teil des Raumes. »Ich schicke euch ein paar Handtücher hinein. In zehn Minuten wird der vierte Gang serviert«, teilte sie ihnen mit ihrem kaum hörbaren Akzent mit. »In einer halben Stunde ist das Dessert dran. Dann seid ihr hier wieder raus.«
»Sie sind unsere Rettung, Madame«, erklärte Samuel mit aufrichtiger Erleichterung.
»Das wage ich zu bezweifeln«, lautete ihre spröde Antwort. »Und jetzt beeilt euch, bevor euch noch jemand sieht!«
Die zugewiesene Tür führte sie in einen Raum von bestechender Schlichtheit. Die feuchte Hitze der Spülküche glich einem türkischen Dampfbad. Zwei Mädchen standen an den steinernen Spülbecken, die Arme bis zu den Ellenbogen im heißen Wasser. Auf eisernen Gestellen und ausgebreiteten Handtüchern trockneten Geschirr und Töpfe. Samuel drehte an einem freien Becken das Wasser auf und sah sich nach der Seife um. Hinter ihnen schlüpfte eine Küchenmagd mit frischen Handtüchern und einem Kamm für Jane herein.
»Madame Baffour macht nicht viele Worte, nicht wahr?«, fragte Jane noch immer überrollt von ihren Gefühlen, während sie sich Tannen- und Haarnadeln aus den schwarzen Locken kämmte.
»Sie hat ihre ganz eigene Art, die Dinge zu regeln«, stimmte Samuel zu. »Doch von ihr ist mehr Gnade als von Mr Frost und Mrs
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