Waisen des Alls
Kilometer. Der Schwarmbau, den die Achorga bei der Solinvasion auf dem Mars errichtet hatten, waren aufgrund der niedrigen Schwerkraft sogar über anderthalb Kilometer hoch gewesen und hatten das interne Mikroklima mittels der Unterschiede der Umgebungsvariablen geregelt. Hier blähten sich an den Sekundärtürmen große Segel, längliche Dreiecke aus einer blassgelben Substanz, die stellenweise Löcher oder Risse aufwiesen. Am Rand der Segel führte ein dickes Kabel entlang, das in regelmäßigen Abständen verankert war, bis hinunter zu den Rohren der Regensammler, die von Gasballons gehalten wurden.
Die alptraumhafte Szenerie wiederholte sich in der Ferne bis zum Horizont und darüber hinaus, mit Konglomeraten von Türmen und Segeln, die einer Flotte grotesker, grellbunter Schiffe glichen, die durch eine kaputte Landschaft mit eingesprengten Ruinen pflügten.
Zu den Türmen aber wollten sie nicht. Aufgrund seiner Nachforschungen wusste Robert, dass der größte Teil eines Achorga-Baus unterirdisch lag, und es war anzunehmen, dass die Zyradin, die Lebensform, hinter der sie her waren, ebenfalls unter der Erde lebte. Dem Konstrukt zufolge setzten die Zyradin sehr spezielle exotische Partikel frei, die in mehrere Sekundärpartikel zerfielen - eine Signatur, die sich orten und ansteuern ließ. Sie waren mit
den entsprechenden Detektoren ausgerüstet, und als die Pinasse tiefer ging, wurden sie auch fündig. Robert und Rosa verglichen die angezeigten Werte.
»Eindeutig in der Nähe des größeren Baus«, sagte sie und zeigte auf die Stelle. »Und sehr wahrscheinlich unterirdisch.«
»Sollen wir jetzt mit unserem kleinen Boot mit feuernden Kanonen durch eine der großen Öffnungen einfliegen, oder was?«, sagte er mit Blick auf das Konsolendisplay, auf dem das Sensorsystem ständig die Daten zu den verschiedenen Eingängen des Baus aktualisierte. »Oder sollen wir reinkriechen wie ängstliche Mäuse?«
Der Anflug eines Lächelns kräuselte ihre Lippen. »Vorsicht ist immer gut. Wir sollten versuchen, die Entdeckung so lange wie möglich hinauszuschieben.«
»Also die Mäuschenstrategie«, sagte er. »Man weiß ja nie - vielleicht überdauert sie ja sogar die erste Feindberührung.«
Sie landeten einen Kilometer vom größeren Bau entfernt und versteckten die Pinasse in einem nicht mehr benutzten alten Hangtunnel, dann brachen sie im trüben Licht des verhangenen Spätnachmittags zu Fuß auf. Robert, der eine kleine Filtermaske trug, folgte Rosa, welche die natürlichen Gegebenheiten als Deckung nutzte. Die Umgebung der Baue wurde jeweils von mehreren Tevorga überwacht, einer Achorga-Variante mit besonders gutem Sehvermögen und einer großen Detailversessenheit. Deshalb war jeder Bau von einer breiten, vollkommen leeren Zone umgeben, die ein freies Schussfeld bot. Als sie hinter einer zerfallenen Mauer aus dreieckigen Ziegeln haltmachten, holte Rosa zwei kleine, halbkreisförmige Gegenstände aus silbrigem Glas hervor und reichte sie Robert. Ein zweites Paar drückte sie auf die kleinen
Schulterplatten ihrer Kampfmontur. Robert tat es ihr nach.
»Holofeldprojektoren«, erklärte sie. »Gedacht für Konturtarnung, aber der Tarneffekt ist auf fünfzehn Sekunden begrenzt, dann muss der Projektor wieder aufgeladen werden.«
»Wie schaltet man die ein?«, fragte Robert.
»Deine Projektoren sind mit meinen synchronisiert«, antwortete Rosa. »Also denk dran, Vater, wenn sie sich einschalten, hast du fünfzehn Sekunden Zeit, diese Öffnungen zu erreichen.« Sie zeigte darauf.
Robert nickte und betastete einen der silbrigen Höcker. »Okay, von mir aus kann’s losgehen.«
»Funktioniert der Nahfunk?«
Er klopfte auf das Kehlkopfmikro und den Ohrstöpsel. »Ich höre dich laut und deutlich.«
»Gut. Auf mein Kommando - drei … zwei … eins … los!«
Bei »zwei« schaltete Rosa die Holotarnung ein. Robert konnte ihr gerade noch kurz zulächeln, dann verschwand sie auch schon auf das Kommando »los!«, und er nahm die Beine in die Hand.
Kurz vor Ablauf der 15-Sekunden-Frist hatten sie das Ziel erreicht und wurden wieder sichtbar. Eilig kletterten sie in einen der niedrigen, abschüssigen Tunnel. Die Seitenwände waren geriffelt, fühlten sich unangenehm klebrig an und glänzten im Schein der Rotlichtlampen, die sie an der Brust befestigt hatten. Es war feucht, und ein beißender Geruch lag in der Luft. Als Robert geduckt weiterging, meinte er, hinter sich ein leises Geräusch zu hören. Stirnrunzelnd blickte
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