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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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über ihre Haut. Gleichzeitig spürte sie die Wärme der Sonne, welche die obersten Zweige, Blätter und Blüten des Laubdachs in ein wundervolles Licht tauchte. Von Segranas Lied aber ging unüberhörbar eine zweifache Warnung aus. Begonnen hatte es mit leisen, mahnenden Tönen, als die ersten brolturanischen Truppen gelandet waren. Als offenkundig wurde, dass sich eine größere Streitmacht sammelte, überwog dann die Klage über die zu erwartenden Toten.
    Cat spürte, dass die Soldaten am Waldrand waren, und meinte beinahe, das Gewicht ihrer Stiefel zu spüren. In den paar Wochen seit der Ermordung von Präsident Sundstrom hatten sich ihr Bewusstsein und ihre Reflexe immer inniger mit dem psionischen Geflecht des kontinentumspannenden Waldes verwoben. Die Gezeiten von Wärme
und Licht im Tag-und-Nacht-Rhythmus, die Abfolge der Tiefdrucksysteme, die Wind und Regen brachten, hatten einen Atem und einen Puls. Dann waren da noch die Aktivitäten der Brolturaner, die Besatzung Dariens und die Vorstöße auf das Gebiet Segranas. Dies hier war bereits der fünfte. Testeten sie noch immer die Stärke der Gegenwehr, oder hatten sie es auf einen Zermürbungskrieg angelegt? Letzteres schien durchaus plausibel, wäre da nicht die gewaltige technologische Lücke gewesen - die Brolturaner hätten zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft angreifen und den Wald mit Entlaubungsmittel besprühen können, doch bislang hatten sie darauf verzichtet.
    Sie wollen etwas, vielleicht die Tempelhallen oder die alten Wissenskammern oder sogar Segrana selbst , dachte Cat. Oder aber sie wissen nicht genau, was hier verborgen ist, und führen Sondierungsangriffe durch, um herauszufinden, welchen Ort wir am verbissensten verteidigen.
    Sie zuckte die Achseln und verlagerte in ihrem mit Blättern gepolsterten Unterschlupf ein wenig die Haltung. Sie befand sich in der schüsselartigen Vertiefung einer Astverzweigung eines der kolossalen Säulenbäume. Während sie geschlafen hatte, waren blasse Würzelchen aus dem Holz gesprossen und hatten sich an ihre Stirn geschmiegt, während andere Ranken sich ihr um Hals und Schultern gelegt hatten. Dünne Schlingpflanzen wanden sich um ihre Gliedmaßen, und zarte, durchscheinende Fäden bedeckten ihre Hände und Füße. Die Lauscher bezeichneten solche Nischen in der Nähe des Waldbodens als Sprechende Orte. Cat befand sich in etwa sieben Metern Höhe, wurde von bemoosten Rankenvorhängen geschützt und war in ein Zwielicht gehüllt, das von ein paar festgebundenen Inekakäfern erhellt wurde. Zwei Lauscherschwestern wachten über sie.

    Sie war sich ihrer unmittelbaren Umgebung nur undeutlich bewusst, denn ihre bewusste Wahrnehmung griff in mehrere Richtungen aus. Ihr Geist funktionierte schneller und war so scharf und beweglich wie seit ihrer Jugend nicht mehr, als ihre durch das Tuning erworbenen Fähigkeiten ihren Höhepunkt erreicht hatten. Dieses Verflochtensein und Verschmelzen mit Segranas ausgedehntem Reich aber stellte eine vollkommen andere Ebene dar. Getunt zu sein bedeutete, über eine intellektuelle Schärfe zu verfügen, die den Blick nach innen lenkte, bisweilen an eine Manie grenzte und kalte, grausame Gedanken mit sich brachte. Mit Segrana verbunden zu sein, hieß, mit Myriaden von Augen zu sehen, mit allen möglichen verschiedenen Ohren und Membranen zu hören, auf verschiedenste Weise zu riechen, zu schmecken und zu fühlen.
    Sie selbst - zusammengerollt am Sprechenden Ort, beleuchtet von Inekas-, darüber dicht aneinandergeschmiegt die miteinander flüsternden Lauscherschwestern. Im Schatten eines Bodenbuschs hocken vier Uvovo-Speerträger. Ein weiteres Dutzend Krieger halten in der Höhe Wache und lauschen.
    Theo - mitten auf einer Brücke aus Seilen und Holz stehend, die sich in knapp zwei Kilometern Entfernung zwischen zwei großen Hangbäumen spannt. Sie sieht ihn aus mehreren Blickwinkeln, durch die Augen kleiner und weniger kleiner Waldbewohner, deren er sich zu einem schimmernden Phantom überlagern, beinahe eine Rundumsicht. Er stützt sich aufs Geländer und entlaubt Blatt für Blatt behutsam einen Zweig. Er runzelt die Stirn, sein Gesicht verdüstert sich vor Sorge. Cat weiß, dass er an die Abwehrmaßnahmen denkt, bei deren Bau er mitgeholfen hat, an die Fallen, die Gruben, die Schleudern,
die Fallvorrichtungen. Außerdem ärgert er sich, dass er über dreihundert Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt ist und trotzdem von einer Uvovo-Eskorte bewacht wird. Blatt-und

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