Wait for You
hatte einfach den Mund gehalten und eingesteckt – alles eingesteckt, bis ich weglaufen konnte.
Das Problem war nur, dass weglaufen nicht länger funktionierte. Es hatte nie wirklich funktioniert. Wie lange hatte es mich gekostet, das herauszufinden? Fünf Jahre, fast sechs? Und wie viele Kilometer hatte ich dafür zurücklegen müssen? Tausende?
Und dann, pünktlich wie ein verdammtes Uhrwerk, hörte ich im Wohnzimmer mein Handy klingen.
Ich sprang auf die Beine und stiefelte hinüber. Mein Kopf kribbelte, als ich Unbekannt auf dem Display las. Ich packte das Handy und hob ab.
»Was?«, sagte ich mit zitternder Stimme.
Nichts. Nur noch mehr Stille.
»Was zur Hölle willst du von mir?«, verlangte ich zu wissen. »Was? Hast du nichts zu sagen? Du terrorisierst mich seit neun Monaten mit Anrufen und SMS . Man sollte meinen, du hättest verdammt viel zu sagen.«
Es folgte ein weiterer Moment unheilschwangeren Schweigens, dann: »Ich kann nicht glauben, dass du abgehoben hast.«
Ich riss die Augen auf. Heilige Scheiße, die Stimme gehörte einem Mädchen. Die Person, die mich anrief und mir wahrscheinlich auch E -Mails schickte, war ein Mädchen.
Ein Mädchen.
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber ganz sicher kein Mädchen .
Ich konnte nur ein Wort sagen: »Warum?«
»Warum?« Das Mädchen spie mir ein trockenes Lachen ins Ohr. »Du hast keine Ahnung, mit wem du redest, oder? Du hast keine einzige Mail von mir gelesen, oder? Nicht eine?«
Die Kleine war also skeptisch. »Na ja, nachdem ich die ersten paar geöffnet hatte, habe ich beschlossen, mich nicht selbst zu quälen.«
»Ich schreibe dir seit Juni, um zu versuchen, mit dir zu reden. Mit den ersten paar E -Mails war alles in Ordnung. Wenn du auch nur eine davon gelesen hättest, hättest du es bemerkt. Allerdings, warum sollte ich dir glauben, dass du sie nicht gelesen hast, wenn du doch quasi berüchtigt dafür bist, die Wahrheit zu sagen?«
Ich ließ mich stirnrunzelnd aufs Sofa fallen. »Wer bist du?«
»Gott, das ist unglaublich. Mein Name ist Molly Simmons.«
Ich riss die Augen auf. »Molly?«
»Du klingst, als würdest du meinen Namen erkennen. Ich nehme an, du hast die Mails doch gelesen.«
»Nein – mein Cousin hat mir von dir erzählt.« Ich sprang wieder auf die Beine und fing an, im Raum auf und ab zu tigern. »Ich habe deine Mails nicht gelesen. Das war keine Lüge.«
»Na, das wäre dann wohl das erste Mal, dass du die Wahrheit sagst.« Im Hintergrund hörte ich eine Tür knallen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war verstört – und absolut sprachlos. »Ich weiß nicht… Gott, es tut mir so leid, was dir…«
»Wage es nicht, mir dein Mitleid auszusprechen«, fiel sie mir mit harter Stimme ins Wort. »Ein ›Das tut mir leid‹ hilft mir nicht im Mindesten.«
Ich schüttelte nur mit offenem Mund den Kopf, was dämlich war, weil sie es ja schließlich nicht sehen konnte.
»Du bist eine verdammte, verlogene Hure. Deinetwegen…«
»Hey! Jetzt mal ernsthaft. Du nennst mich Hure? Dir muss doch klar sein, wie scheiße das ist.« Ich packte mein Handy fester. »Ehrlich, jede einzelne, widerliche Nachricht, die du mir geschickt hast, ist total durchgeknallt. Und ich verstehe nicht mal, warum du das tust.«
»Warum?« Ihre Stimme wurde schrill. »Meinst du das verdammt noch mal ernst?«
»Ja!«
Ich hörte, wie sie Luft holte. »Sag mir nur eine Sache. Was ist die Wahrheit? Das, was du der Polizei erzählt hast, oder das, was Blaine überall herumerzählt hat?«
Ich schnappte nach Luft.
»Sag schon, Avery. Denn wenn deine Version der Wahrheit entsprach, warum hast du die Anzeige zurückgezogen, obwohl du wusstest, wozu er fähig war? Denn du musst gewusst haben, dass etwas mit ihm nicht stimmt und dass er es wieder tun würde.«
Meine Schultern sackten nach unten, und ich flüsterte: »Du verstehst nicht.«
»Oh, ich verstehe absolut. Egal wie, du bist eine Lügnerin.« Ich hörte Mollys schweren Atem in meinem Ohr. »Weißt du, warum ich Kontakt zu dir aufnehmen wollte? Weil ich mit jemandem reden musste, der dasselbe durchgemacht hat wie ich. Ich dachte…« Ihre Stimme brach. »Es spielt keine Rolle, was ich dachte oder warum ich es getan habe. Du hast dir nicht mal die Zeit genommen, eine einzige verdammte Mail zu lesen. Zumindest könntest du mir jetzt die Wahrheit sagen.«
Ich schloss die Augen und ließ meine Stirn in meine Hand sinken. Mir schwirrte immer noch der Kopf von allem, was mit Cam
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