WAKE - Ich weiß, was du letzte Nacht geträumt hast (German Edition)
aus und versinken in der schneebedeckten Auffahrt. Janie beobachtet sie von ihrem Zimmerfenster aus.
Das Mädchen ist dunkelhaarig und hübsch.
Janie fragt sich, ob sie wohl eingebildet ist wie die anderen Mädchen an der Schule, die Janie als »weißen Abschaum« bezeichnen. Da dieses Mädchen neben Janie auf der falschen Seite der Stadt wohnt, werden sie sie womöglich auch als weißen Abschaum bezeichnen.
Aber sie ist wirklich hübsch.
Hübsch genug, dass es eine Rolle spielt.
Janie zieht sich schnell an, steigt in die Stiefel und zieht sich den Mantel über, geht nach nebenan, um die Gelegenheit zu nutzen, das Mädchen vor den Nordstädterinnen kennenzulernen. Janie braucht ganz dringend eine Freundin.
»Braucht ihr Hilfe?«, fragt sie zuversichtlicher als sie sich fühlt.
Das Mädchen bleibt abrupt stehen. Ein Lächeln vertieft die Grübchen in ihren Wangen, und sie legt den Kopf schief.
»Hi«, sagt sie. »Ich bin Carrie Brandt.«
Ihre Augen blitzen.
Janies Herz macht einen Sprung.
2. März 2001, 19:34 Uhr
Janie ist dreizehn.
Sie hat zwar keinen eigenen Schlafsack, aber Carrie hat einen übrig, den sie ihr leihen kann. Janie stellt ihre Plastiktüte neben dem Sofa in Carries Wohnzimmer ab.
Inhalt der Tüte:
ein selbst gebasteltes Geburtstagsgeschenk für Carrie,
Janies Schlafanzug,
eine Zahnbürste.
Sie ist nervös. Aber Carrie schnattert genug für beide, während sie darauf warten, dass Carries andere neue Freundin, Melinda Jeffers, kommt.
Genau, die Melinda Jeffers.
Von den Fieldridge-Nordstadt-Jeffers.
Melinda Jeffers scheint obendrein die Vorsitzende des »Macht-Janie-Hannagan-unglücklich«-Clubs zu sein. Janie wischt sich die schwitzigen Hände an ihrer Jeans ab.
Als Melinda kommt, macht Carrie kein großes Getue. Janie nickt ihr zu.
Melinda lächelt abfällig. Versucht, Carrie etwas zuzuflüstern, doch die ignoriert sie und schlägt vor: »He, wir könnten Janie die Haare machen!«
Melinda wirft Carrie einen Blick zu, der töten könnte.
Carrie lächelt Janie fröhlich zu und fragt sie stumm mit den Augen, ob das in Ordnung ist.
Janie unterdrückt ein Grinsen, und Melinda gibt achselzuckend vor, dass es ihr nichts ausmacht.
Aber Janie weiß, dass es sie umbringt.
Mit der Zeit kommen die Mädchen besser miteinander aus oder finden sich einfach damit ab. Sie legen Makeup auf und sehen Carries Lieblingsfilme mit alten Komikern an, von denen Janie zum Teil noch nie etwas gehört hat. Dann spielen sie Wahrheit oder Pflicht.
Carrie wechselt ab: Wahrheit, Pflicht, Wahrheit, Pflicht.
Melinda nimmt immer Wahrheit.
Und dann Janie.
Janie nimmt nie Wahrheit.
Sie ist ein Pflichtmensch.
So kann niemand etwas von ihr erfahren.
Sie kann es sich nicht leisten, dass jemand etwas von ihr erfährt.
Denn sonst könnte es sein, dass sie ihr Geheimnis herausfinden.
Das Kichern wird geradezu hysterisch, als Melinda Janie die Aufgabe stellt, barfuß nach draußen durch den Schnee auf den Hinterhof zu laufen, sich auszuziehen und nackt einen Schneeengel zu machen.Damit hat Janie kein Problem.
Was hat sie denn schon zu verlieren?
So etwas würde sie jederzeit lieber tun als ihr Geheimnis zu verraten.
Melinda, die Arme in der kalten Nachtluft verschränkt, beobachtet Janie, und ein hämisches Grinsen liegt auf ihrem Gesicht, während Carrie kichert und Janie hilft, ihr Sweatshirt und die Jeans wieder über den nassen Körper zu ziehen. Carrie nimmt Janies BH, steckt Schnee in die Körbchen und schießt wie mit einer Schleuder Schneebälle auf Melinda.
»Eh! Krass!«, höhnt Melinda. »Wo hast du denn den her? Von der Heilsarmee?«
Janies Kichern verstummt. Sie schnappt Carrie ihren BH weg und steckt ihn verlegen in die Hosentasche. »Nein«, erwidert sie hitzig, doch dann muss sie wieder kichern. »Secondhand. Wieso? Kommt er dir bekannt vor?«
Carrie prustet los.
Widerwillig muss sogar Melinda lachen.
Dann gehen sie hinein, um Popcorn zu machen.
23:34 Uhr
Gleichzeitig mit dem Licht wird auch der Geräuschpegel in Carries Wohnzimmer gedämpft, nachdem Mr Brandt, Carries Vater, zur Tür hereingestampft istund die drei Mädchen angebrüllt hat, ruhig zu sein und zu schlafen.
Janie zieht den Reißverschluss des muffig riechenden Schlafsacks zu und schließt die Augen, doch nach ihrer aufregenden Nackter-Schneeengel-Aktion ist sie noch viel zu aufgedreht, um zu schlafen. Trotz Melinda war es ein schöner Abend. Sie hat erfahren, was es heißt, ein
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