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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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geheimnisvoll während er ihre Hand umklammert hielt und der Blutstropfen immer größer wurde.
    »Paracelsus behauptete, Blut sei kondensiertes Licht.«
    Er presste ihr Handgelenk, als wolle er ihr das Blut abquetschen. In seinem Blick lag etwas Gieriges, dachte Lilith und musste an Vampirgeschichten denken. Doch obwohl er ihr wehtat, protestierte sie mit keinem Wort.
    »An was soll man sich denn erinnern?«
    »Was sagst du da?«
    »Sie haben eben gesagt, die Vermischung würde die Erinnerung zerstören.«
    »Stimmt.«
    »Woran soll man sich also erinnern?«
    »An das, was wir einmal waren.«
    »Wann?«
    »Am Anfang.«
    »Am Anfang wovon?«
    »Von allem.«
    Er ließ ihre Hand los. Lilith schob sich den Daumen in den Mund und saugte das Blut aus der Wunde. Es war lauwarm und süß. Sie presste den Daumen an den Gaumen.
    »Was waren wir denn?«
    »
Sonnenmenschen

    »Sonnen ...«
    »...
menschen

    »Was ist das denn?«
    »
Sonnenmenschen
,
Göttermenschen
,
Zaubermenschen

    »So eine Art Übermenschen?«
    José schmunzelte.
    »So was in der Art.«
    Lilith nahm sich die Nadel noch einmal vor.
    »Ich glaube, Sie sind ein bisschen verrückt.«
    Sie rammte die Nadel ins Plastik. Endlich saß der Stich. In fünf Minuten war das Bein bombenfest an den Rumpf genäht. Dennoch war die Operation alles andere als perfekt, der Oberschenkel ließ sich nämlich keinen Millimeter mehr bewegen. Außerdem waren die unregelmäßig gesetzten Stiche nicht zu übersehen. Ein weiterer Tropfen Blut drang aus Liliths Daumen, als wolle die winzige Wunde nicht schließen. José konnte nicht mehr widerstehen. Er zog die Schublade auf, holte erst sein schwarzes Notizheft hervor, tastete dann weiter. Schließlich brachte er ein Lederkästchen mit Pipetten und mehreren kleinen Glasplättchen zum Vorschein.
    »Darf ich?«, fragte er und griff schon nach ihrer Hand. Lilith begriff, dass Widerstand zwecklos war. Ob sie wollte oder nicht, würde José ihren Daumen auf eins der Glasplättchen pressen. Der Blutstropfen blieb auf dem Objektträger haften, und José legte ein Deckglas darauf. Da klebte Liliths Blut nun zwischen den beiden Scheiben.
    »Wofür ist das?«, fragte sie flüsternd.
    »Das ist eine Probe. Damit kann man sehen, wie viel du noch wachsen könntest.«
    Stumm sah Lilith dabei zu, wie José das Deckglas mit einem L beschriftete und verwahrte. Dann öffnete er sein Heft, machte eine kurze Notiz und klappte es wieder zu. Lilith starrte auf das Heft.
    »Wofür sind diese Zeichnungen?«
    »Welche Zeichnungen?«
    »Die aus dem Heft.«
    Jetzt war es raus. Das verlangte nach einer Erklärung. Schließlich ließ José sein Zimmer niemals unabgeschlossen, und das Heft nahm er auch nicht mit hinaus.
    »Woher weißt du denn von den Zeichnungen?«
    Lilith holte tief Luft.
    »Ich hab sie mir angesehen.«
    »Hast du etwa einen Schlüssel zu meinem Zimmer?«
    »Nein.«
    »Wie bist du dann reingekommen?«
    Lilith machte eine Kopfbewegung in Richtung Fenster.
    Ganz schön mutig
, dachte José, beeindruckt von ihrer Verwegenheit. Es würde sich schon noch die Gelegenheit finden, sie gebührend zu bestrafen.
    »Und, was hast du da gesehen?«
    »Uns ... Meine Familie.«
    Ihm schossen die gleichen Gedanken durch den Kopf wie Lilith einige Tage zuvor: Sollte seine kleine Freundin den Mund aufmachen, würde er seine Koffer packen müssen. Aus irgendeinem Grund aber hatte sie das Ganze bislang für sich behalten. Immerhin leistete sie ihm zu solch später Stunde Gesellschaft. Kein Wunder, dass sie in den letzten Tagen verstört gewirkt hatte.
    »Ich mache eben gerne Zeichnungen von den Menschen um mich herum.«
    »Und wozu?«
    »Um sie besser zu begreifen.«
    »Und deswegen schreiben Sie auch auf, wie groß sie sind und was sie wiegen?«
    »Dichter schreiben auf, was sie sehen, Maler malen es, und ich wiege und messe eben alles aus, was mich interessiert.«
    »Interessieren Sie sich denn für uns?«
    »Ich interessiere mich für dich.«
    Lilith wurde rot.
    »Wieso?«
    »Weil du anders bist.«
    Lilith schwieg und umarmte die Puppe, sie musste sich an etwas Vertrautem festhalten. Nach kurzem Schweigen fragte José:
    »Soll ich bleiben oder gehen?«
    »Bleiben.«
    »Du weißt doch aber, dass ich gehen muss, wenn du unsere Geheimnisse ausplauderst ...«
    »Ich schweige wie ein Grab.«
    Zumindest eine Zeitlang würde sie den Mund halten. Mehr verlangte José gar nicht. Kurz darauf schlich sich Lilith über den dunklen Flur in ihr Zimmer zurück. Ihr

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