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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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sagen.
    »Ich brauche den ganzen Platz.«
    Der Besitzer nickte folgsam.
    »Außerdem muss ich abschließen können.«
    Wieder nickte der Besitzer. Das Angebot, das ihm der Blonde am Tag zuvor gemacht hatte, war zu gut, er konnte es unmöglich ausschlagen. Für die Zeit, in der José bei ihm arbeitete, würde er sämtliche Fixkosten für den Laden übernehmen. Das Einzige, was man von ihm verlangte, war Verschwiegenheit und dass er jede Order des Herrn akzeptierte, den er ihm am nächsten Tag vorstellen würde. Sofort machte sich der Besitzer daran, den Tiefkühlschrank zu leeren, während José etwas auf einem Zettel notierte, den er dem Blonden reichte.
    »Haben wir hier im Krankenhaus einen von unsern Leuten?«
    »Mehrere.«
    »Dann bitten Sie sie, diese Sachen unter dieser Nummer hier zu bestellen. Die Lieferung kommt dann als medizinisches Material.«
    Plötzlich erhob sich im Laden wildes Gebell. Aus allen Käfigen gleichzeitig kläffte, knurrte und heulte es, als eine läufige Pekinesendame auf dem Arm ihres Frauchens durch den Verkaufsraum getragen wurde. Der Ladenbesitzer wollte nachsehen, was los war, und stolperte im Gang über Lilith.
    »Was machst du denn hier?«
    Im Hinterraum sah José auf.
    »Die Kleine gehört zu mir, sie kommt mich abholen.«
    Der Besitzer lief an ihr vorbei in den Verkaufsraum, und José drückte dem Blonden, der noch irgendetwas auf Deutsch sagte und sich dann verabschiedete, seinen Pass in die Hand. Lilith verstand kein Wort. Sie rührte sich nicht vom Fleck, bis sie allein waren. Als José verschiedene Dinge aus seinem Koffer auszupacken begann, trat sie näher.
    »Ich hab das Gefühl, du verfolgst mich«, sagte er.
    »Wir haben in der Stadt Zettel für die Pension angeklebt«, erklärte sie.
    José stellte ein paar Kisten in den Tiefkühlschrank.
    »Werden Sie hier arbeiten?«
    José nickte.
    »Mit den Kühen?«
    »Auch, ja.«
    »Dann bleiben Sie ja richtig lange hier.«
    »Hast du mich etwa schon über?«, brummte er schmunzelnd. Er genoss das Spiel mit ihr.
    Lilith lächelte ihn unsicher an. José kannte sich mit kindlicher Mimik aus, er nahm die kleinste Regung wahr, und er begriff sofort, dass etwas vorgefallen war, aber ebenso, dass es wiedergutzumachen war.
    »Übrigens bin ich bereit, mein Versprechen einzulösen.«
    »Welches Versprechen?«
    »Dir etwas beizubringen ... Hattest du dir das nicht gewünscht?«
    Lilith tat ahnungslos, doch sie strahlte übers ganze Gesicht.
    »Wir könnten uns verabreden.«
    »Heute Abend«, sagte seine Zwergennymphe schnell. Lilith wollte alles am besten sofort in Angriff nehmen. »Nach dem Abendessen.«
    »Ich werde dich erwarten.«
    »Wo?«
    »Auf meinem Zimmer. Wann immer du willst.«
    »Um neun«, entschied Lilith.
    »Hast du außer Herlitzka noch eine andere Puppe?«
    »Ich hab ganz viele.«
    »Dann bring eine davon mit. Mit der fangen wir an.«
    Wie sollte sie ihm erklären, dass sie gar nicht mehr im Besitz von Herlitzka war? Dass jetzt Wakolda bei ihr in Großmutters Bett schlief? Heute Vormittag in der Schule, als sie zwischen all den vielen Kindern stand, die die deutsche Nationalhymne anstimmten, war ihr plötzlich klar geworden, dass Wakolda rein gar nichts von einer Europäerin hatte und sie gestehen musste, Herlitzka verschenkt zu haben. Der Schulchor stand auf einer kleinen Empore und führte den gemeinsamen Gesang an, die Fahnenhisserin und ihr Geleit flaggten die argentinische und die deutsche Fahne. Der Rest der Schüler und Lehrer sowie das übrige Schulpersonal schmetterten das Deutschlandlied, als ginge es um Leben und Tod. Die Schüler waren nach Klassen aufgeteilt und standen nach Größe geordnet. Lilith maß einen halben Kopf weniger als der Junge, der zuvor der Kleinste in der Klasse gewesen war, und hatte stillschweigend ihren Platz eingenommen. Um sie herum wurde getuschelt und gekichert. Erst versuchte sie so zu tun, als singe sie mit, sie kannte aber den Text nicht und verlegte sich bald darauf, ihre Mitschüler zu mustern. Ein hoch aufgeschossener Typ stach ihr ins Auge. Auch er sang nicht wirklich mit und schien sich in seinem Körper ebenso unwohl zu fühlen wie sie. Er blickte jedenfalls ausgesprochen mürrisch drein und schenkte den Begrüßungsworten des Schuldirektors keinerlei Aufmerksamkeit. Nach der Eröffnungsveranstaltung scheuchten die Aufseher die Schüler in die Klassenzimmer. Tomás verschwand in der entgegengesetzten Richtung, Lilith fühlte sich alleingelassen und wurde in einer Klasse mit

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