Wakolda (German Edition)
José sollte das Essen in ihrem Haus in bester Erinnerung behalten. Und nun griff der deutsche Gast zur Leberwurst, bestrich ein Stück hausgebackenes Brot damit und biss hinein, als hätte er nie den geringsten Ekel verspürt. Der Österreicher schenkte Wein ein – »… auf Kosten des Hauses …« –, während José einiges dafür gegeben hätte, dass dieser aufhörte, sich so auffällig untertänig zu zeigen.
Es war aussichtslos. Die Töchter des Hauses starrten unentwegt tuschelnd durch die halbgeöffnete Küchentür, und die Hausherrin wurde rot, sobald sie ihn nur ansah. Am nächsten Tag würden sich die Gerüchte wie ein Lauffeuer verbreiten. Auch in Bariloche machten sicher schon jede Menge Geschichten die Runde. Er fluchte innerlich: Nur solcher elenden Schwätzer wegen würde er seine Flucht nicht mehr länger hinausschieben können.
Die Sache würde ihm eine Lehre sein. So gutgläubig durfte er in Zukunft einfach nicht mehr sein. Selber schuld. Niemand hatte ihn gezwungen, sich mit dem Netzwerk in Patagonien in Verbindung zu setzen.
Auch Enzo hatte bemerkt, dass José von manchen Leuten besonders zuvorkommend behandelt wurde. Kein Zweifel – ihr Gast war bekannter, als er vorgab. Aber Eva würde er nicht ins Vertrauen ziehen, nahm er sich vor; auf keinen Fall würde er das Geschäft mit den Puppen aufs Spiel setzen. Er wunderte sich selbst über seine Skrupellosigkeit. Wo war der romantische Idealist geblieben, der er einmal gewesen war? Auch Lilith, die ihn von der Seite musterte, war etwas aufgefallen. Ihr Vater wirkte plötzlich verändert, als wäre er schlagartig gealtert. Mit eingefallenen Schultern saß er am Abendbrottisch und schlang ein mit reichlich Leberwurst bestrichenes Brot hinunter. Lilith legte sanft ihre Hand auf seine. Enzo legte das Messer aus der Hand.
»Esse ich zu schnell?«, fragte er betreten.
»Danke, dass ich mitkommen durfte, Papa.«
»Ich freue mich doch, dass du da bist, Lilith.«
»Aber du solltest nicht so schlingen. Das bekommt dir nicht.«
»Du hast Recht. Entschuldigung.«
Enzo legte das Brot auf den Teller, und Lilith lächelte. Doch die vertraute Innigkeit zwischen Vater und Tochter war hier nicht recht am Platze. José hatte die Szene geradezu fassungslos mitangesehen. Solche Regungen waren ihm fremd – und dabei fehlte es ihm durchaus nicht an Sensibilität; immerhin weinte er bei seinen Lieblingsopern wie ein Kind. Das patagonische Lamm wurde aufgetragen. José rückte die Rosmarinzweige darauf zurecht, bevor er den ersten Bissen tat. Er gefiel sich in der Rolle des Ästheten.
Noch bevor sie fertig gegessen hatten, nickte Enzo beinahe über seinem Teller ein, vollkommen erschöpft von mehreren hundert Kilometern Autofahrt, vor allem aber von der anstrengenden Konversation mit seinem deutschen Gast, der offenbar allwissend war. Bevor er am Tisch einschlief, zog er sich lieber zurück. Lilith bettelte, sie wolle noch aufbleiben. Da sie die halbe Fahrt verschlafen hatte, war sie trotz der späten Stunde noch putzmunter.
»Ich passe auf sie auf«, versprach José, und Enzo zog sich zurück.
Obwohl es kalt war, wollte José seinen Verdauungstee auf der Veranda einnehmen, und während Lilith vor ihm auf den Stufen herumturnte, besah er sich in dem schwachen Lichtschein des erleuchteten Fensters hinter ihm in aller Ruhe die erste selbst zusammengebaute Puppe. Immer wieder drehte und wendete er seine Schöpfung hin und her und pfiff dabei leise vor sich hin.
»Sie werden sie uns aus den Händen reißen«, murmelte er.
»Wieso? Wer denn?«, fragte Lilith.
»Unsere Freunde.«
Verdutzt sah ihn Lilith an. Sie wusste gar nicht, dass sie sogar schon gemeinsame Freunde hatten. Hinter ihnen tauchte der Österreicher mit einem Tablett auf, wohlwissend, dass er störte. Aber er hielt es einfach nicht mehr aus.
»Melissentee und
torta galesa
– Kuchen nach Waliser Rezept.«
»Danke«, antwortete José auf Deutsch.
Das war das Stichwort.
»Sehr bedauerlich, die Sache mit der Festnahme«, stieg der Österreicher sogleich darauf ein.
José sah ihn verständnislos an. Offenbar war er noch gar nicht im Bilde.
»Was für eine Festnahme?«
»Eichmann.«
Aus Josés Gesicht wich alle Farbe. Die Nachricht schien ihm tatsächlich neu zu sein. Und er war der Überbringer. Er nahm gerade an wirklich großer Geschichte teil, wenn auch nur an einem winzigen Teil von ihr, dachte der Österreicher, und ein Gefühl von Heldenhaftigkeit durchströmte ihn.
»Wann war
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