Wakolda (German Edition)
welche bestellt, selbst einige, die gar keine kleinen Töchter hatten. Für viele waren diese Puppen eher heimliche Trophäen, ein Symbol ihrer Bekanntschaft. Es verhielt sich wie mit Billy the Kid und Butch Cassidy und deren legendären Touren durch Patagonien – nicht wenige schworen Stein und Bein, ihre Großväter hätten damals Pferde, Nachtlager oder Essen gegen das Reitzeug dieser berüchtigten Gesetzlosen eingetauscht. Und nicht ohne eine gewisse Genugtuung malte José sich aus, was man sich wohl einmal über seine Zeit in Südargentinien erzählen würde. Diese zukünftige Legende war immerhin ein Trost. Und die fünfzig vollendeten blonden Babypuppen mit den himmelblauen Knopfaugen würden für sich sprechen. Er nahm sich fest vor, eine Puppe mit einem Autogramm zu versehen und für den ersten Mossad-Agenten zu reservieren, der in Bariloche eintraf. Die Flucht würde er noch an diesem Abend in die Wege leiten, sobald sie in der Pension ankamen. Er brauchte lediglich einen Bekannten anzurufen und einen Wagen für die Fahrt zum nächsten Grenzübergang besorgen zu lassen. Seine Habseligkeiten passten in den Koffer, mit dem er angereist war. Allerdings würde er noch die Proben aus der Tierarztpraxis holen. Vielleicht wäre dies der Moment gewesen, sich von seinen Forschungsobjekten zu trennen, doch das kam nicht infrage. Sollten sie ihm nehmen, was sie wollten – seine Versuche würde er immer und überall weiterführen.
Selbst in Paraguay
, dachte er verdrossen.
Seine Zeit in Patagonien war abgelaufen, die Flucht in die Tropen stand bevor. Dabei waren ihm arme Länder mit feuchtem Klima doch so sehr zuwider. Umso schneller musste er sehen, dass er von hier fortkam. Keine Sentimentalitäten.
Morgen bin ich weg
, sagte er sich, und er meinte es ernst.
Doch wieder einmal sollte ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung machen.
11
Als Enzos Wagen mit eingeschaltetem Fernlicht auf den tannengesäumten Grundstücksweg einbog, kam ihnen Tomás entgegengelaufen und winkte aufgeregt. Er war ganz außer Atem und so durcheinander, dass er kaum erzählen konnte, was geschehen war: Bereits vor elf Stunden hatten bei Eva die Wehen eingesetzt, doch die Hebamme war bis jetzt nicht aufgetaucht, was am Unwetter oder auch an der schweren Grippe liegen konnte, die in der Gegend grassierte. Der schleimige Husten und das Fieber, das Lilith während der Rückfahrt plötzlich überfallen hatte, war für José ein sicheres Zeichen dafür, dass auch sie die Krankheit ausbrütete. Ihr kleiner Bruder musste bereits das Bett hüten. Als sie ins Schlafzimmer gestürzt kamen, wo Eva schweißgebadet mit den Presswehen kämpfte, trafen sie auf die beiden Waliserinnen, die taten, was sie konnten, um Eva beizustehen.
»Ohne Hebamme geht das hier nicht weiter«, raunte Luned, die selbst sechs Kinder auf die Welt gebracht und der Geburt von insgesamt zwölf Neffen und Nichten beigestanden hatte.
Eva stieß einen gellenden Schrei aus, und Enzo, der sich gerade zu ihr hinunterbeugen wollte, wich erschrocken zurück.
»Ihr holt die Hebamme. Ich übernehme hier so lange«, kommandierte José.
Ohne jede Eile legte er Hut, Jackett und Brille ab. Dann krempelte er die Ärmel hoch. Eva hätte ihn am liebsten hinausgeschickt, doch die Wehen wurden immer stärker, lange würde sie nicht mehr durchhalten. Sie ließ zu, dass er ihr die Knie auseinanderschob, um sie abzutasten. Jahrelang hatte der deutsche Arzt Kinder entbunden oder mitunter auch Geburten zwangseingeleitet. Die Schwelle zwischen Leben und Tod war ihm vertraut, und er erkannte auf den ersten Blick, ob die Kreißende, die er vor sich hatte, ihr Kind auf natürlichem Wege oder per Kaiserschnitt auf die Welt bringen würde. Bei dieser hier bestand kein Zweifel. Er schickte Tegai los, einen Topf mit kochendem Wasser sowie Handtücher und Alkohol heranzuschaffen, und drückte Lilith den Schlüssel zu seinem Zimmer in die Hand.
»Du holst meinen Koffer. Und den Dolch. Er muss aber keimfrei sein, weißt du, wie man das macht?«
Lilith nickte und flitzte los in Josés Zimmer, kramte, fieberglühend und keuchend, nach dem Dolch mit dem seltsamen Emblem und lief dann damit in die Küche, wo sie die Klinge in die Flammen hielt. Bei der Vorstellung, dass damit gleich ihre Mutter aufgeschnitten werden sollte, wurde ihr übel. Aber sie hatten keine Wahl, sie mussten José vertrauen.
Als sie mit zitternden Knien ins Schlafzimmer gerannt kam, rieb der bereits Evas Unterleib mit
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