Wakolda (German Edition)
Alkohol ein. Alle folgten stumm seinen Anweisungen. Auf Josés Geheiß riss Tomás ein Bettlaken in Streifen und band die Handgelenke seiner Mutter am Kopfende des Bettes fest. José fürchtete, dass das Betäubungsmittel nicht reichte und seine Patientin wild um sich schlagen würde, wenn der Schmerz unerträglich wurde. Eva legte die Hände um die Eisenstäbe des Bettgestells. Sie war am Ende ihrer Kräfte und wünschte sich nur noch, dass alles so schnell wie möglich über die Bühne ging. José befühlte die zum Platzen gespannte Haut ihres Unterleibs und suchte nach der besten Stelle für den Einstich. Lilith reichte ihm den Dolch. Er setzte die Klinge an, zog einen Schnitt und wusste, dass er perfekt war. Er war ein großer Freund des Kaiserschnitts, entband die Kinder gern unzerknautscht und ohne die üblichen, durch den Geburtskanal verursachten Dellen. So wie dieses hier: Kaum hatte er die Hand in Evas Unterleib versenkt, schon hielt er ein Mädchen in der Hand, das aussah wie Lilith, aber ganz wohlproportioniert war. Die Nabelschnur hatte sich zweimal um den Hals gewickelt, sodass das Neugeborene erst nach einer Weile zu schreien begann. Die Kleine konnte kaum mehr als vier Pfund wiegen. Durch die von feinem Flaum bedeckte Haut schimmerten die Blutgefäße, Hände und Füße waren ganz rot. Schnell drückte José die Kleine Lilith in den Arm, die neben ihm stand, und kniete sich wieder vor Eva hin. Lilith starrte fasziniert auf den winzigen, blutbedeckten Körper in ihrem Arm.
Eva stöhnte unter einer erneuten heftigen Wehe. Josés Verdacht bestätigte sich. Noch einmal griff er vorsichtig in ihren Unterleib und zog kurz darauf ein zweites winziges Knäuel heraus. Wieder ein Mädchen. Es war erheblich kleiner als seine Schwester, hatte aber einen im Vergleich zum Rest des Körpers überdimensionierten Schädel, weder Kopfhaar noch Augenbrauen oder Wimpern, weiche, unausgewachsene Fingernägel und auffällig kurze Gliedmaßen. Die Schädelknochen, besonders das Scheitel- und das Hinterhauptbein, waren noch nicht verhärtet. Die typischen Kennzeichen eines Frühchens.
Tausendsechshundert Gramm
, schätzte José, als er die Kleine kopfüber vor sich hielt.
Im Unterschied zu seiner Schwester schrie dieses Neugeborene nicht. José legte das winzige Bündel auf dem Bett ab und verfolgte die flatterige, unregelmäßige Atmung, ein deutliches Zeichen dafür, dass die Lungenbläschen noch nicht fertig ausgebildet waren. Tegai nahm José das zweite Mädchen ab, damit dieser die Nabelschnur durchtrennen konnte. Lilith trat mit dem anderen Baby im Arm heran und half Tegai und Luned, die beiden Neugeborenen in einer Schüssel mit lauwarmem Wasser zu waschen. Eva verfolgte das Geschehen vom Bett aus, war aber viel zu schwach, um Anweisungen zu erteilen. Als Enzo mit der Hebamme das Zimmer betrat, war bereits alles vorbei. Die beiden Babys lagen in eine Decke gewickelt und wirkten so zerbrechlich, dass ihr Vater es nicht wagte, sie zu berühren. Besorgt starrte er auf das kleinere der beiden.
»Warum atmet sie so komisch?«
»Sie braucht dringend Sauerstoff«, erklärte José, zog einen Füller aus seiner Jacketttasche und kritzelte etwas auf einen Zettel. »Die Lungen sind noch nicht vollständig ausgebildet, und das Abwehrsystem ist sehr schwach. In null Komma nichts können die Atemprobleme schlimmer werden. Nicht auszudenken, wenn sie sich auch noch eine Lungenentzündung oder etwas in der Art einfangen. Die Kinder sollten sich von jetzt an besser fernhalten.«
Schuldbewusst hielt sich die hustende Lilith eine Hand vor den Mund. José bedeutete ihr mit einem Wink, ein paar Schritte zurückzutreten. Dann setzte er seine Unterschrift unter die Notiz und hielt Enzo den Zettel hin.
»Gehen Sie zum Nachbarn. Diesen Zettel hier geben Sie dort ab.«
Er warf einen kurzen Blick auf Lilith, die sich neben der Tür in die Ecke gekauert hatte.
»Und du gehst mit. Dich kennen sie schon.«
Als er Enzo zögern sah, versicherte er schnell:
»Keine Sorge, ich kümmere mich um Ihre Frau.«
Auch Eva drängte ihn. Enzo ließ seinen Blick über das Schlachtfeld schweifen, in das sich ihr Schlafzimmer verwandelt hatte. Alle waren blutbeschmiert. Lilith zog ihn hinter sich hinaus. Doch erst als sie am Tor des Nachbargrundstücks darauf warteten, dass man ihnen öffnete, und Enzo die Schneeflocken auf seinem Gesicht spürte, kam er wieder zu sich. Er legte der zitternden, hustenden Lilith seinen Mantel um und rieb ihr kräftig
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