Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Spiel von Licht und Schatten zuzusehen und einen klaren Kopf zu bekommen. Der Wald, so viel war ihm klar, war der denkbar schlechteste Ort für eine Spurensuche jeglicher Art. Ein Auto zum Beispiel müsste schon durch eine schlammige Pfütze gefahren sein, um hier brauchbare Reifenabdrücke zu hinterlassen, für Fußabdrücke galt dasselbe, und es war auch nicht anzunehmen, dass der Mörder seine Jacke samt Personalausweis an einem Baum hängen gelassen hatte. Wonach suchte er also, außer vielleicht nach einer nagelneuen, messingglänzenden Patronenhülse? Nach einem alten Tempotaschentuch mit brauchbarer Nasenpopel- DNA ?
Morgenstern stromerte von Schreibers Jägerstand aus zunächst am Waldrand entlang, wandte sich nach zweihundert Metern um und ging wieder zum Hochstand zurück, diesmal allerdings etwas weiter zwischen den Bäumen hindurch. Das raschelnde Laub zu seinen Füßen roch nach Pilzen und Moder, nicht unangenehm, dachte Morgenstern.
Etwa fünfzig Meter hinter dem Hochstand blieb er stehen. Kein Ort für den Mörder, dachte er. Der Schuss musste von der gegenüberliegenden Seite, von vorne, gekommen sein. Er wollte schon weitergehen, da fiel ihm zwischen dem gelb glänzenden Laub ein kleines Stück Papier auf. Er beugte sich vor und sah es sich an, ohne es anzufassen. Dann griff er in seine Jackentasche, holte ein sauberes Papiertaschentuch heraus und griff damit nach dem bedruckten Blättchen. Vorsichtig hob er es gegen das Licht, kniff ein Auge zusammen und pfiff dann leise durch die Zähne.
»Was haben wir denn hier?«, fragte er leise und las sich selbst die Antwort vor: »Freundschaftskampf Box-Club Eichstätt gegen Ústí nad Labem (Tschechische Republik). Sonntag, 2. September, zehn Uhr. Volksfest Eichstätt. Festzelt.«
Eine Eintrittskarte – in der Mitte eingerissen. Und sie konnte nur einem gehören, dachte Morgenstern euphorisch: dem Mörder! Ja, genau so musste es gewesen sein: Der Mörder war vormittags im Bierzelt auf dem Volksfestplatz gewesen, um sich den Boxkampf anzusehen. Und nachts war er hier oben im Wald knapp hinter Matthias Schreibers Hochstand herumgeschlichen. Er hatte die eingerissene Eintrittskarte noch in der Tasche gehabt und sie dann dummerweise verloren, vor oder nach dem Mord an dem Jäger. Ja, so musste es gewesen sein.
Wer aber war der Mörder? Auf der Eintrittskarte würden sich zweifellos brauchbare Fingerabdrücke finden. Das Ding musste schleunigst ins Labor im Polizeipräsidium. Eine warme Woge durchflutete Morgenstern. Ich bin ein Glückspilz, jubelte er innerlich. Nein, viel besser: Ich bin ein Spürhund, ein Terrier! Vorsichtig schob er die Eintrittskarte in seine Jackentasche.
Auf dem Weg zurück zu seinem Wagen kam ihm ein unangenehmer Gedanke: Konnte es nicht sein, dass Jäger Schreiber selbst unter den Zuschauern des Boxkampfs gewesen war und das Ticket später hier im Wald verloren hatte? Aber wie auch immer: Morgenstern musste sich die Zuschauer des Boxkampfs vornehmen.
»Der technische Fortschritt macht’s möglich«, murmelte er, als er ins Auto stieg und mit überhöhter Geschwindigkeit nach Hause fuhr.
Immer drei Stufen auf einmal nehmend stürmte er die Treppe zu seiner Mietwohnung im ersten Stock hinauf und rannte in das kleine Gästezimmer, das zugleich als Bügel- und Arbeitszimmer herhalten musste. Hier stand der Computer der Familie Morgenstern, ein Gerät, das er selbst nur selten in Betrieb nahm. Er hätte das Ding nicht gebraucht, aber Fiona hatte auf der Anschaffung bestanden. Im Gegensatz zu Morgenstern pflegte sie regen E-Mail-Kontakt zu allen möglichen Bekannten.
Nervös fuhr er den Rechner hoch und startete das Suchprogramm.
»Fotos! Gib mir brauchbare Fotos vom Boxkampf«, beschwor er die Maschine. Wer hatte am Sonntagvormittag im Festzelt fotografiert? Wer hatte Aufnahmen vom Publikum gemacht? Der Box-Club selbst? Fieberhaft suchte Morgenstern nach einem Eintrag des Vereins. Tatsächlich fand er eine Homepage des Clubs. Doch die neuesten Fotos, die von den Boxern ins Netz gestellt worden waren, stammten vom Vereinsausflug irgendwann im Frühjahr.
»Hätte ich mir denken können!«, schimpfte Morgenstern. Wer stellte sonst Fotos ins Internet? Die Lokalzeitung natürlich! In der Montagsausgabe hatte er doch sogar ein Bild der Eichstätter Faustkämpfer gesehen. Wo es eines gab, da mussten auch noch weitere sein. Morgenstern brauchte vor Anspannung drei Anläufe, bis er endlich die richtige Adresse eingetippt hatte. Und
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