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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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Parkplatz. Der Motor des Lieferwagens knackte, es roch nach Benzin, aber auch nach dem Holz, das viele Jahre lang mit dem Wagen transportiert worden war.
    Roberta öffnete die Beifahrertür. Prinz sprang sofort auf den Sitz hinauf, setzte sich hin und sah sie aufmerksam an. Sie stieg ein, startete den Motor und machte das Licht an. Als sie losfuhr, bellte Prinz bestätigend und blickte aus dem Fenster auf seiner Seite; sein Schwanz klopfte auf das Polster.

14
    Stand einer der alten Männer der Reisegruppe, die heute auscheckte, an einer bestimmten Stelle im Hotelfoyer, sah es aus, als trage er einen Strahlenkranz auf dem Haupt, eine Mütze aus Licht. Kaum bewegte er sich, fiel die Sonne ungehindert durch die großflächige Scheibe und flutete den Raum mit einem Licht, in dem Staubsäulen standen. Dann saß Ayfer an der hinteren Foyerwand wie in einem gelben Aquarium. Um ihre Tante zu beruhigen, die ihr misstrauische Blicke zuwarf, weil sie sich sonst nie im Foyer aufhielt, hatte Ayfer das Buch, das sie in die Türkei mitgebracht hatte, offen vor sich auf dasTischchen gelegt, als lese sie. Dasara hatte ihr »Nichts« von Janne Teller geschenkt, aber Ayfer war bis jetzt nicht über die erste Seite hinausgekommen. Der iranische Gehilfe hatte das Gepäck der Gruppe auf drei Karren gestapelt, um es später zum Bus zu bringen, der auf dem Parkfeld hinter dem Hotel stand; die alten Männer drängten sich vor der Rezeption, als müssten sie ihre Koffer und Taschen bewachen, während ihre Frauen auf der Terrasse saßen und cay tranken.
    Nach einer kurzen, schlaflosen Nacht hatte Ayfer aus dem Fenster des Bades Staubfahnen beobachtet, die hinter vorbeifahrenden Autos aufstiegen und vom Wind über die von der Sonne versengte Wiese geweht wurden. Sie hatte aus dem Fenster gestarrt, als erwarte sie ein Zeichen als Bestätigung, dass es richtig war, abzuhauen. Die Schollen des aufgebrochenen, staubtrockenen Bodens sahen aus wie Zähne aus Erde, überall lag Unrat, Plastiktüten schwebten Richtung Meer. So war die Zeit verstrichen. Schließlich war ein herrenloser Hund über die Brache hinter dem Anbau getrabt, die Schnauze so dicht über der Erde, als habe er, den Kopf hin und her schwenkend, Witterung aufgenommen. Plötzlich war er stehengeblieben, hatte sich geschüttelt und zu ihr hochgesehen, beide Ohren nach hinten geklappt. Komischerweise war es Ayfer nicht leichtgefallen, dem Blick des Hundes standzuhalten, sie kam sich ertappt vor und durchschaut. Sie hatten sich reglos angestarrt und wie auf Kommando den Blick gesenkt. Der Hund hatte gebellt, war vor dem eigenen Echo zusammengezuckt und davongelaufen. Sie hatte sofort gewusst, dass das die Bestätigung war, auf die sie gewartet hatte.
    Sie hatte kaum etwas eingepackt, Höschen, Strümpfe, zwei T-Shirts, einen Pulli und eine Jeans, aber keine anderenSchuhe. Sie trug schwarze Leggings und Jeansrock, Turnschuhe und das kirschrote Shirt von Davor. Die Stoffumhängetasche, aus der sie in Suhr das »New Romance«-Label mit der Schere herausgetrennt hatte, hatte sie hinter ihrem Sessel versteckt, damit Yeter keinen Verdacht schöpfte. Ihr Geld, den Pass und das Handy von Davor, das sie nicht wieder eingeschaltet hatte, trug sie in einem Etui an einem Lederbändel um den Hals auf der Haut.
    Ayfer hatte mehr Geduld als ihr Vater, ihre Mutter und ihr Bruder; es fiel ihr leicht, zu warten, einfach nur dazusitzen und die Welt und ihre Bewohner zu beobachten. »Wie eine Maschine im Leerlauf«, hatte Davor den Zustand beschrieben, in den sie sich versetzte, wenn sie warten musste, und sie hatte ihn nicht korrigiert, obwohl er nicht verstand, dass sie zwar aussah, als sei sie im Dämmerschlaf versunken, wenn sie wartete, in Wirklichkeit aber hellwach war und genau wahrnahm, was um sie herum vorging. Sie saß jetzt seit über einer Stunde im Foyer. Ich bin ein Stein, der lebt, dachte sie, ein Reptil, das auf den einzig richtigen Augenblick wartet, den Augenblick, den es auf keinen Fall verpassen darf. Manchmal wurde es für Sekunden taghell in dem Raum mit den gelben Bodenfliesen, der gleich darauf erneut in trübem Dämmer versank, weil die alten Männer unmöglich stillstehen konnten und das Licht der Sonne blockierten oder durchließen, indem sie sich einmal in diese und einmal in jene Richtung bewegten und sich in einem Greisenballett fortwährend umgruppierten, unterlegt vom Scharren und Schurren ihrer Gesundheitsschuhe und ihrem aufgeregten Gemurmel. Ich werde nicht alt, sagte

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