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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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Busverbindungen heraus und schob das Mandala hinein. Bald darauf wurde der Verkehr dichter; die meisten Leute, die sie überholten, warfen neugierige Blicke in den Bus, und Roberta fiel das Erstaunen in den Augen der Leute auf, wenn sie sie, die alte Frau, in dem bunt bemalten Hippiebus bemerkten. In einem Garten hing Wäsche, die im Wind tanzte, vor einer Lagerhalle standen Gabelstapler in einer Reihe, senfgelb, die Gabeln hochgefahren, bereit zur Attacke. Wie banal die Gründe sind, eine Stadt zu lieben oder nicht, dachte Roberta. Ein schönes Hotelzimmer, ein geglückter Nachmittag auf einer Sonnenterrasse über einemFluss, der Anfang einer Liebe. Oder aber ein schlechtes Restaurant, ein missglückter Vormittag in einem verregneten Schlosspark, das Ende einer Liebe.
    Roberta hasste Innsbruck. Und dabei hatte ihr die Stadt gefallen, als sie am späten Nachmittag des 4. November 1957 aus dem Zug gestiegen war, auf den Wangen die abklingende Wärme der letzten Abendsonne, deren Abglanz eben auf den Fassaden der Häuser am Südtiroler Platz erlosch. Der Vorhang der Dämmerung fiel, fiel langsam, jedoch unaufhaltsam, während der hohe Himmel von einem unirdischen, magischen Licht erfüllt war. Roberta war nicht die Einzige gewesen, die staunend stehengeblieben war, den Kopf im Nacken, ergriffen, verzaubert.
    »Sollen wir Sie zum Bahnhof bringen?«, fragte Gerhard.
    »Machen Sie sich bitte keine Umstände wegen mir.«
    »Wir fahren doch eh am Bahnhof vorbei«, sagte Emma und fing an, ihre Buntstifte in einem Lederetui zu verstauen.
    »Stimmt«, sagte Snowflake, »wir fahren dran vorbei. Oder bleiben Sie in Innsbruck?«
    »Nein«, log Roberta und tätschelte Prinz, »wir fahren weiter.«
    »Mit dem Zug?«, wollte Gerhard wissen.
    »Mit dem Zug.«
    Sie waren noch keine fünf Minuten von der Autobahn abgefahren, schon standen sie im Stau. Roberta mied die Blicke der Fußgänger, die an ihnen vorbeigingen. Emma dagegen winkte ihnen zu, machte Faxen, schnitt Grimassen. Als Snowflake vor dem Bahnhof anhielt und den Motor ausschaltete, stand Roberta sofort auf und öffnete den Schrank hinter dem Beifahrersitz, um ihre Gore-Tex-Jacke herauszunehmen.Prinz stand erwartungsvoll hechelnd vor ihr. Sie nahm ihn an die Leine, und sie stiegen alle aus. Emma ging vor Prinz in die Hocke, umarmte ihn, das Gesicht in seinem Fell, leise mit ihm redend, dann stand sie abrupt auf, reichte Roberta förmlich die Hand, machte einen Knicks und stieg wieder in den Bus.
    »Sie sind unterwegs«, sagte Gerhard und drückte Roberta kurz an sich, »ich weiß nur nicht, ob ich Ihnen wünschen soll, dass Sie auch ankommen.«
    »Jetzt wird er wieder philosophisch!« Snowflake lachte.
    Sie nahm ihren Mann an der Hand, öffnete die Beifahrertür des Campingbusses, und er stieg ohne Widerrede ein.
    »Passen Sie auf sich auf«, sagte Snowflake und umarmte Roberta.
    »Ist das nicht auch philosophisch?«, fragte Roberta.
    Snowflake sah sie nachdenklich an, dann lächelte sie, drehte sich um, stieg ein und startete den Motor. Emma saß am Tisch des Busses und blickte mit unbewegtem Gesicht durch das Fenster auf sie herab; als der Bus losfuhr, winkte sie ihnen zum Abschied. Roberta hob den Rucksack hoch und schwang ihn sich auf den Rücken. Es roch nach Eisen, Bremsstaub von Zügen, ein Geruch, den sie seit ihrer Kindheit liebte und der Fernweh in ihr weckte. Sie klopfte ihrem Hund auf den Rücken, und sie machten sich auf den Weg in die Adamgasse. Die Pension Zum Blauen Eber, in der vor fünfundfünfzig Jahren ihre erste Liebe zu Ende gegangen war, bevor sie überhaupt angefangen hatte, existierte noch, wie sie aus dem Internet wusste.

16
    Die Frau, die an der Selbstbedienungstheke das Essen ausgab, hatte ein Pflaster auf der Stirn, ihre Schürze war schmutzig. Sie trug eine Haube aus Plastik und Gummihandschuhe, wie Ayfers Mutter sie anhatte, wenn sie das Badezimmer putzte. Die Frau vermied es, die Gäste anzusehen, denen sie die Teller zuschob, blickte sich aber immer wieder nach dem Mann um, der am Ende der Theke an der Registrierkasse saß. Ayfer gefiel es nicht in dem Restaurant, in dem es nach ranzigem Öl stank und gespenstisch dunkel war, weil viele der Lampen über der Bar und über den Tischen nicht funktionierten.
    Sie setzten sich an einen Fenstertisch in der Nähe der Treppenstufen, die in einen weiteren Raum hinunterführten, in dem Männer Karten spielten und rauchten. Das Fenster, an dem sie aßen, wies auf den Parkplatz mit den

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