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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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verebben, weil schon der nächste Sattelschlepper vorbeiraste.
    Annikas Vater hatte die Gardinen des Fahrerhauses zugezogen, er schlief offensichtlich überall sofort ein, sobald er sich hinlegte. Ayfer und Annika saßen nebeneinander auf den Klappstühlen zwischen den Lastzügen. Das Licht der fauchenden Gaslaterne, die vor ihnen stand, warf einen Halbmond auf den Asphalt, aber ihre Gesichter blieben im Dunkeln.
    »Was hättest du lieber«, sagte Annika, »eine Welt ohne Geräusche oder eine Welt ohne Farben?«
    Die gleiche Frage hatte Ayfer ihren Freundinnen Ajla und Dasara auch gestellt; die beiden hatten sie angesehen, als habe sie den Verstand verloren und keine Antwort gegeben.
    »Weder noch«, sagte Ayfer.
    »Ich verzichte lieber auf die Geräusche.«
    »Eine Welt ohne Musik?«
    »Trotzdem.«
    »Ich würde mich umbringen«, sagte Ayfer.
    Annika warf ihr einen Blick zu, stand auf und trat an den Rand des Parkfeldes; hinter der angrenzenden einspurigen Autobahnzufahrt rauschte der Verkehr vorbei. Der schwarze Himmel sah aus, als sei er mit einem breiten grauen Pinsel verschmiert worden.
    »Braucht man eigentlich einen Migrationshintergrund, damit es einem beschissen gehen darf?«
    »Scheißzicke«, machte Ayfer.
    »Wissen deine Eltern, dass du zurückkommst?«
    »Spinnst du? Mein Vater bringt mich um. Ich hab die Familienehre und den ganzen Scheiß in den Dreck gezogen.«
    »Weil du abgehauen bist?«
    »Und weil ich den alten Knacker nicht heiraten will.«
    »Hör auf damit.«
    »Warum hast du mir nichts von deiner Zwillingsschwester erzählt?«
    »Geht’s dich was an? Und dein Bruder?«
    Ayfer hatte den ganzen Tag nicht einmal an ihren Onkel oder ihre Tante gedacht und auch nicht an ihre Eltern und ihren Bruder. Davor war ihr mehrmals eingefallen; aber sie reiste nicht seinetwegen in die Schweiz zurück, das wusste sie jetzt.
    »Mein großer Bruder hält zu Vater. Er ist Türke. Aber das versteht ihr nicht.«
    »Ihr?«
    »Na, ihr Nicht-Türken.«
    »Ich traue Männern, die beten, nicht über den Weg. Schon gar nicht, wenn sie dabei knien. An was denken sie dann? Männer sind zu stolz, um zu beten. Türkische Männer sowieso.«
    »Was verstehst du von türkischen Männern?«, sagte Ayfer.
    »Wer weiß?«
    »Ihr versteht uns nicht.«
    »Wenn du meinst! Dafür wissen wir, dass Türkenmädchen als Jungfrauen in die Ehe gehen, mit gesenktem Blick in ihren Kopftüchern durch die Welt wandeln, ihren Männern dienen und glücklich und demütig sterben. Saufen und Rauchen tut ihr bestimmt auch nicht, was?«
    »Nur Raki und Gras«, sagte Ayfer.
    Sie konnte den Geschmack von Raki nicht ausstehen und hatte erst zwei Mal Gras geraucht, mit Davor und seiner Clique, unten an der Suhre, auf einem Fels am Rand des Flüsschens, wo sie die Lagerhallen der Migros sehen konnten, von denen Davor sagte, es seien Hangars für Kampfflugzeuge,die jederzeit startbereit seien, nur wisse das keiner, nur er. Beim ersten Joint hatte Ayfer gar nichts gespürt und trotzdem gelacht und gekreischt wie die anderen. Sie war sogar bis zu den Knien in den kalten Fluss hinausgewatet, ohne die Schuhe oder die neuen Leggins auszuziehen, und hatte herumgeplanscht, als habe sie den Verstand verloren. Beim zweiten Mal war sie vor allem müde geworden, müde und gleichgültig, eine Löwin, die sich in der Abendsonne räkelt, als sei ihr Körper mit Sand gefüllt, mit warmem Sand, der bei jeder Bewegung durch sie hindurchrieselte, Korn um Korn, was sich nicht unangenehm anfühlte, aber seltsam, als kitzle sie sich selbst von innen heraus.
    »Türkenmädchen rauchen also ausschließlich Gras«, sagte Annika, »blöd, hab ich nur Haschisch dabei.«
    »Haschisch ist meine Leibspeise«, sagte Ayfer, »schließlich glaube ich an Allah.«
    Hinter der Lieferantenrampe des Restaurants fiel das Gelände ab und mündete in eine Senke, die nur teilweise vom Licht einer Lampe beleuchtet wurde, die unter dem Dach angebracht war. Ayfer konnte ein Brennnesselmeer und einen baufälligen Bretterverschlag erkennen. Ein Mann in gewürfelter Kochhose stand vor der Rampe, rauchte und sprach in ein Handy, ohne zu bemerken, wie sie in die Senke hinunterstiegen und dem Pfad folgten, der an den Nesseln vorbei hinter den Verschlag führte. Dort standen eine Bank ohne Rückenlehne und ein Blechtisch, von dem die Farbe abgeblättert war. Die Tür des Verschlages hing schief in den Angeln, Ayfer sah, dass der Raum mit aufeinandergestapelten Lastwagenreifen vollgestopft war. Neben der

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