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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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gewölbten Betonwand, stellte sie sich vor.
    »Das gefällt Ihnen, was!«
    Gerhard lehnte sich aus dem Beifahrersitz nach hinten undschaute sie lachend an. Roberta war nicht bewusst gewesen, dass sie der Musik mit geschlossenen Augen gelauscht hatte.
    »Gefallen, ich weiß nicht. Es passt irgendwie zu unserer Fahrt durch diesen Tunnel«, antwortete Roberta.
    Die Musik hatte eine unheilvolle Klangfarbe angenommen, als sei unmerklich ein Licht nach dem anderen ausgegangen. Da fing ein Mann an zu flüstern; was er sagte, konnte sie nicht verstehen, und dann schrie er, verzweifelt und furchterregend. Prinz sprang aus dem Schlaf auf die Beine und drängte sich schutzsuchend unter den Tisch.
    »Haben Sie verstanden, was er geflüstert hat?«, fragte Gerhard.
    Roberta schüttelte den Kopf und strich Prinz über die Schnauze, um ihn zu beruhigen.
    »›Careful With That Axe Eugene‹«, sagte Gerhard.
    »Ich weiß, was das heißt«, rief Emma schnell, »das fragt er jeden. Es heißt ›Vorsichtig mit dieser Axt, Eugen‹!«
    »Klugscheißerchen«, sagte ihre Mutter.
    »Die rauchen auch Drogen«, sagte Emma, »wenn sie Musik machen!«
    »Pink Floyd sind schon seit 1977 eine Scheißband«, sagte Gerhard und wandte sich wieder nach vorn, »mach’s aus!«
    Seine Frau warf ihm einen Blick zu, dann schaltete sie das Gerät aus, ohne ein Wort zu sagen. Emma sah Roberta an, die Augenbrauen in die Höhe gezogen, und malte an ihrem Mandala weiter. Ich werde immer weniger, so hätte Roberta sich während ihrer Ehe beschrieben, wenn sie denn jemand danach gefragt hätte, zum Beispiel ihr Mann Herbert. Ich werde immer weniger, bald gibt es mich nicht mehr! Ähnelte die Liebe dem Hunger, fragte sie sich, musste man sie stillen,weil man sonst einging, weil man sonst verhungerte? Hingabe und Zuwendung hatte sie sich von den drei Männern in ihrem Leben gewünscht, Gier, Verlangen und Verachtung hatte sie bekommen. »Hartherzig, du bist hartherzig und kalt!« Seit dem Tag, an dem sie ihre Familie verlassen hatte, war das der Vorwurf gewesen, den Herbert in jedem Brief und in jedem Telefongespräch wiederholte. »Hartherzig und kalt!« In den achtzehn Jahren ihrer Ehe hatte er ihr das nie zum Vorwurf gemacht, im Gegenteil, »du bist zu weich, viel zu weich, zu gutmütig und nachgiebig«, hatte er ihr bei jedem Streit ins Gesicht geschrien. Sie war gegangen, weil sie seine Gegenwart nicht mehr aushielt, weil sie die Verantwortung, einen anständigen und erfolgreichen Menschen aus ihrem Sohn zu machen, nicht länger tragen mochte und weil sie genug hatte von der Schuld, als Ehefrau und Mutter zu scheitern. Sie war gegangen, um endlich schuldlos zu sein, ohne Verantwortung. Sie war gegangen, weil sie selber über ihre Zeit verfügen wollte. Dass sie ihren Sohn und ihren Mann damit verletzte, ja verwundete, nahm sie in Kauf. Es war ihr unmöglich geworden, nicht an das andere Leben zu denken, das sie verpasste, sich nicht all die leichten, lichten, beseelten Momente vorzustellen, die ihr in ihrem gewöhnlichen Leben als Mutter und Ehefrau entgingen. Es war ihr nicht länger möglich, nicht an die Zukunft zu denken, die ihr verwehrt wurde und die sie sich selber verwehrte. Aber stand es ihr überhaupt zu, von einem anderen Leben zu träumen? Sie war doch eine gewöhnliche Frau ohne besonderes Talent, anständig, rechtschaffen und langweilig. Musste sie sich nicht in ihr Schicksal fügen? Wage nicht zu viel, sonst verwirkst du dir das Recht auf das sichere Leben, das die meisten führen! Verlangenicht zu viel, sonst vertreibst du dich aus dem Haus, in dem es warm ist wie in einem Stall.
    Als sie aus dem Tunnel ins helle Licht des Tirols hinausschossen, wurde Roberta von einem Hochgefühl überschwemmt, das ihr beinahe Glückstränen in die Augen trieb. Ich bin noch einmal gegangen! Ich bin damals gegangen, und ich bin jetzt wieder gegangen. Ich habe mich den Ansprüchen anderer entzogen, habe meinen Hund befreit, und wir sind gegangen! Ich hatte den Mut, zu tun, wovon ich träumte! Prinz drückte sich an Robertas Bein, dann legte er sich unter dem Tisch hin.
    »Da! Für dich.«
    Emma schob das Mandala zu Roberta hinüber, an dem sie seit ihrer Abfahrt gearbeitet hatte, das aber ganz offensichtlich noch nicht fertig war.
    »Ist noch nicht fertig, ich weiß. So musst du an mich denken, jedes Mal, wenn du daran weiter malst!«
    Roberta bedankte sich. Sie öffnete das Seitenfach ihres Rucksacks, nahm das Mäppchen mit den ausgedruckten Zug- und

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