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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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LKW-Stellplätzen hinaus, so konnten sie den Lastzug im Auge behalten. Annikas Vater legte sich auf dieser Raststätte in der Nähe von Belgrad immer für einige Stunden schlafen; gegen Mitternacht fuhr er jeweils weiter, um die restlichen 670 Kilometer bis Wien nach einem kurzen Halt im ungarischen Gyöör in einem Rutsch zurückzulegen. Die lauten, aggressiven Stimmen der kartenspielenden Männer erinnerten Ayfer an die Spießrutengänge durch den Bahnhof in Aarau, vorbei an den Gruppen junger Männer aus Ex-Jugoslawien, die sie mit blöden Sprüchen anmachten.
    »Das hier ist die beschissenste Raststätte auf der ganzen Fahrt«, sagte Annikas Vater, »darum esse ich jedes Mal hier.«
    »Damit er sich umso mehr auf Wien freuen kann«, sagte Annika.
    »Klau mir nicht immer meine Pointen, Anni!«
    Er zerschnitt das panierte Schweineschnitzel, auf dem ein Spiegelei lag, in Stücke, die er sich eins nach dem anderen in den Mund schob. Die Pommes frites hatte er an den Rand des Tellers geschoben, wo Annika sie schnell mit der Gabel aufspießte, bevor sie ihre eigenen anrührte. Ayfer war hungrig und aß ihren Teller bis auf das Petersiliensträußchen leer, das auf dem Spiegelei gelegen hatte. Fahrer anderer Lastwagen hatten auf dem Grasstreifen, der zwischen den Stellplätzen und dem Zaun der Raststätte verlief, ein Feuer entfacht, in dem ihre Gesichter aufleuchteten und die Flaschen aufblitzten, die sie reihum gehen ließen. Wechselte der Wind seine Richtung, wurde der Rauch auf die Fenster des Restaurants zugetrieben, und die Asche des Feuers glühte auf.
    »Hier drin hab ich mal mit einem Mann geredet, der mir nichts anderes als Ratschläge gegeben hat«, sagte Annikas Vater, »genau hier, an dem Tisch, an dem wir sitzen.«
    »Der Mann war Serbe«, sagte Annika mit gelangweilter Stimme, aber ihre Augen verrieten, dass ihr die Geschichte, die er erzählte, Spaß machte.
    »Er war Serbe, genau.«
    »Und er hat einen Kühllastwagen gefahren«, sagte Annika.
    »Verstehen Sie Serbisch?«, fragte Ayfer.
    »Er hat jahrelang in Bremen gelebt. Sein Deutsch war besser als meins.«
    »Und was waren das für Ratschläge?«, fragte Ayfer.
    »Dass es wichtig ist, eine Motorsäge zu besitzen«, sagte er ernsthaft.
    »Dass man auf keinen Fall die Frau heiraten soll, die man liebt«, sagte Annika.
    »Dass man Männern nicht trauen soll, die Katzen lieben.«
    »Dass man seinen Hund auf gar keinen Fall in seinem Bett schlafen lassen darf.«
    »Dass man nie, aber wirklich nie wütend werden darf in der Gegenwart von Menschen, die einem etwas bedeuten.«
    »Und schon gar nicht vor Untergebenen«, ergänzte Annika.
    »Oder Angestellten.«
    »Dass man sich vor rothaarigen Frauen hüten soll.«
    »Und vor Männern, die Vegetarier sind.«
    »Dass Alkohol in Maßen gesund ist.«
    »Genau wie Nikotin«, sagte Annikas Vater nach kurzer Kunstpause.
    Vater und Tochter hatten diesen Dialog offenbar schon oft vorgeführt, so schnell waren die Sätze hin- und hergegangen und so stolz sahen sie sich über den Tisch hinweg an. Zwei Zirkusartisten nach gelungener Vorstellung. Annika drückte Ayfers Hand unter dem Tisch, dann stieß sie ihren Stuhl vom Tisch zurück und flätzte sich mit ausgestreckten Beinen hin, als halte sie die Vertrautheit zu ihrem Vater nicht aus und müsse sie zerstören. Ayfer sah dem Paar zu, das sich an den Nebentisch setzte und sofort anfing, schweigend zu essen. Die Frau und der Mann waren mindestens achtzig, ihre Nasen berührten fast die Teller, wenn sie sich nach vorne neigten und die Löffel mit zitternden Händen zum Mund führten. Sie waren auf der Durchreise, das war leicht zu erkennen, weil sie sich dauernd umsahen. Sie waren auf der Hut, sie hatten Angst. Das hätte ich auch, dachte Ayfer, wenn ich alleine hier wäre. Die Kleider der Alten waren schäbig, ihre Schuhe verdreckt. Der Mann hatte seine Mütze abgenommenund auf den Tisch gelegt, seine Hornbrille war mit Klebeband zusammengeflickt. Seit dem Tod ihrer Großmutter trieb der Anblick alter Menschen Ayfer die Tränen in die Augen, sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie hatte miterlebt, wie ihre Großmutter in ihrem Sterbebett von Tag zu Tag schweigsamer geworden war, durchscheinender, ein Feuer, das langsam erlosch, ein Licht, das langsam dunkel wurde. Nuray hatte weniger, immer weniger gegessen, zuletzt nichts mehr, nicht einmal die Datteln, die sie doch über alles liebte. Geredet hatte sie bald auch nichts mehr, nur mehr geflüstert, gewispert und

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