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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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schob den Rucksack in den Stauraum zwischen den Sitzreihen und wartete, bis sich Prinz unter dem Tisch hingelegt hatte. Dann setzte sie sich der Frau schräg versetzt gegenüber, den Rücken zur Fahrtrichtung. Die Frau trug ein nachtblaues Kostüm, in ihren rot getönten Haaren steckte eine Sonnenbrille. Sie hatte Schatten unter den geschminkten Augen, Andeutungen von Tränensäcken. Wirkte sie traurig oder bitter?
    Roberta setzte dazu an, die Frau anzusprechen, als eines der Handys zirpte und sich ruckelnd über die Tischplatte bewegte. Die Frau machte eine unwirsche Kopfbewegung, dann nahm sie das Gerät doch in die Hand und meldete sich. Ihre Stimme klang rau, bestimmt war sie Raucherin. Man hört ihr an, dass sie es gewohnt ist, Anweisungen zu erteilen, dachte Roberta.
    »Im Zug«, sagte die Frau, »wo sonst? Weil er nie Zeit hat,darum. Ist besser so, doch, glaub mir, ist besser so. Ende des Monats zieht er aus.«
    Die Frau schraubte die Schutzkappe vom Füller und klopfte damit gegen den Rand des Tisches, während sie zuhörte. Prinz drängte sich an Robertas Bein, und sie beugte sich unter den Tisch, um ihn zu streicheln. Die Frau trug vorn abgerundete schwarze Pumps mit flachen Absätzen und Riemchen über dem Spann. Schuhe, wie sie Flamencotänzerinnen tragen, dachte Roberta, das passt nicht zu ihr. Der Stoff ihres Kostüms glänzte ein wenig an den Schenkeln. Roberta setzte sich wieder aufrecht hin, die Frau verabschiedete sich kurz angebunden und ließ das Handy in die Handtasche gleiten, die auf dem Sitz neben ihr stand. Sie fuhren langsam durch einen Bahnhof, vorbei an Wartenden mit müden Gesichtern; auf den mit Vogelkot gesprenkelten Eisenträgern des Perrondaches saßen Tauben.
    »Ich hoffe, mein Hund stört Sie nicht?«
    »Wir leben in einem Land, in dem Hunde in Zügen erlaubt sind, nicht? Sie haben ja bestimmt für ihn bezahlt?«
    Roberta legte ihre Hände auf den Tisch, um sich aufzustützen und aufzustehen, da räusperte sich die Frau, und Roberta blieb sitzen.
    »Darf ich fragen, wohin Sie fahren?«
    »Nach Hause«, sagte Roberta, »und Sie?«
    »Salzburg. Vorstandssitzung. Ich fliege nicht gerne. Dabei hab ich in London eine Zweitwohnung, stellen Sie sich vor!«
    »Ich bin noch nie erste Klasse gefahren«, sagte Roberta, ohne nachzudenken.
    Die Frau sah sie erstaunt an, dann schraubte sie den Füller zu und ließ ihn ebenfalls in die Handtasche gleiten.
    »Und ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal zweite gefahren bin, sehen Sie.«
    Die Frau lächelte, betrachtete für einen Augenblick ihr Spiegelbild in der Zugscheibe und griff sich mit spitzen Fingern in die Haare.
    »Ich will Sie nicht von der Arbeit abhalten.«
    »Die Arbeit, ja, ja. Und Sie? Sie sind wohl im …«
    Die Frau ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und tippte auf eine Taste ihres Laptops. Der Bildschirm wurde heller und warf einen kalten blauen Schimmer auf ihr Gesicht.
    »Im Ruhestand?«, sagte Roberta. »Nein, ich besitze ein Hundeheim. Mit über vierzig Hunden.«
    »In Ihrem Alter? Ist das nicht anstrengend?«
    »Doch.«
    Das Erstaunen im Gesicht der Frau war nicht gespielt. Ihr Mund stand leicht offen, und Roberta bemerkte, dass sie Lippenstift an den Schneidezähnen hatte.
    »Sie haben Lippenstift an den Zähnen.«
    Die Frau schloss den Mund, ihre Augen wurden schmal, sie schluckte hart. Die senkrechten Fältchen auf der Oberlippe gaben ihrem Gesicht einen unerbittlichen Zug. Roberta spürte Mitleid und griff unter dem Tisch nach Prinz. Sein Fell fühlte sich borstig an, er japste leise unter ihrer Berührung.
    »Lippenstift. Wenn’s weiter nichts ist«, sagte die Frau.
    Sie nahm ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich damit über die Zähne, den Kopf abgewandt, als schäme sie sich. Dann lachte sie theatralisch auf, rückte den Laptop zurecht und warf Roberta einen kühlen Blick zu. Vorden Fenstern neigten sich Büsche im Fahrtwind des Zuges, ein Spatzenschwarm stob in die Höhe, als werde er vom Luftzug mitgerissen.
    »Ich wünsche Ihnen jedenfalls eine gute Heimreise«, sagte die Frau und taxierte Roberta, als wolle sie abschätzen, wie sie den Wunsch aufnahm.
    »Danke«, sagte Roberta, »viel Erfolg bei Ihrer Sitzung.«
    Die Nasenflügel der Frau weiteten sich, so tief atmete sie aus, während sie anfing, schnell und routiniert zu tippen, den Blick in die Ferne gerichtet, die Schultern gestrafft, als warte sie auf ein Lob.
    Auf einer abfallenden Wiese an der

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