Wald
nicht mehr, wie lange er schon einfach so dasitzt, ohne sich zu bewegen. Und als die Festgemeinschaft sich schließlich auflöst, nimmt er es zuerst gar nicht wahr.
»Nun könnt Ihr Euch zurückziehen, wenn Ihr wollt«, flüstert ihm der Hofnarr ins Ohr. Envin schrickt auf.
»Sogar Sidus hat sich bereits verabschiedet.«
Envin sieht sich in dem leeren Saal um, steht lethargisch auf und läuft langsam los. Er stolpert durch die dunklen Gänge der Burg, als er bemerkt, dass er die Orientierung verloren hat. Er ist sich nicht sicher, ob er nach links oder nach rechts abbiegen soll, um zu seinem Quartier zu gelangen, und er ist sich nicht sicher, ob er in diesem Moment überhaupt dorthin will. Er bleibt stehen. Was ist das für ein Geräusch? Da lacht doch jemand. Envin schleicht nach links. Das müssen zwei Personen sein, ein Mann und eine Frau. Und die eine der Stimmen kennt er nur zu gut. Er läuft schneller. Das Kichern wird lauter. Eine Tür knallt, dann wird es still. Als Envin an dem kleinen Durchgang zum Burghof ankommt, weiß er mit einem Mal wieder, wo er sich befindet. Er öffnet die Pforte und tritt ins Freie. Da sind die Stimmen wieder. Bewegt sich dort hinten an dem Brunnen etwas? Envin wirft seine Kapuze über und schreitet vorsichtig voran. Er erkennt zwei Silhouetten. Sie rennen weg. Anscheinend versucht die eine Person, die andere zu fangen. Envin beschleunigt seinen Schritt. Er sieht gerade noch, wie die beiden Schatten durch den Einstieg zu den Weinkellern verschwinden. Wenn er ihnen weiter folgen würde, würden sie ihn womöglich entdecken, doch das ist jetzt egal. Er muss Gewissheit haben.
Vorsichtig steigt Envin die Treppenstufen in die Dunkelheit hinab. Am unteren Ende des Gangs wird eine Fackel entzündet.
»Wo hast Du dich versteckt, mein Häschen?«, hört er die Stimme des Mannes fragen.
Der Schein des Feuers bewegt sich und Envin schleicht weiter.
»Ich werde dich schon finden. Warte nur ab, was ich dann mit dir anstellen werde«, der Mann singt mehr, als dass er spricht.
Envin erreicht das untere Ende der Treppe und sieht sich um. In einiger Entfernung entdeckt er die schwarzen Umrisse des Mannes, der mit der Fackel in der Hand die Gewölbe durchsucht, und sich dabei immer weiter von ihm entfernt. Envin läuft ihm hinter her, auf den Boden blickend, bedächtig einen Fuß vor den anderen setzend und stößt dabei mit dem Ellbogen ein Gefäß von einem Hocker, das laut krachend herunterfällt.
»Ah, da hinten bist Du«, der Mann dreht sich um und läuft zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist.
Envin springt in einen Nebenarm des Gewölbes, etwa vierzig Fuß lang und zu beiden Seiten mit Fässern vollgestellt, die auf Holzpodeste gelegt sind.
Wohin soll er nur fliehen? Die Schritte des Mannes werden lauter.
»Jetzt komm schon raus, Häschen, ich krieg dich doch sowieso!«
Es wird immer heller in dem Gewölbe mit jedem Fuß, den der Verfolger mit seiner Fackel näherkommt.
»Es gibt kein Entkommen vor dem großen Drachenjäger!«
Kichernd tritt Sidus um die Ecke und leuchtet mit seiner Fackel die Weinfässer ab.
»Nanu ---«
Envin liegt unter einem Holzpodest unter einem Fass in der hintersten Ecke des Gewölbes und beobachtet die Stiefel seines Bruders, der den Raum absucht. Envin versucht, so leise als nur möglich zu atmen. Auf einmal schleicht ein zweites Paar Füße von hinten an Sidus heran.
»Huch!«
Envin kriecht vorsichtig einen Zoll nach vorne, um besser sehen zu können. Eine Dienstmagd mit langen schwarzen Haaren und einem einfachen Kleid steht hinter Sidus und hält ihm die Augen zu.
»Oh nein, jetzt hat das Drachenweib mich gefangen«, sagt Sidus mit übertriebenem Bedauern, als er sich zu dem jungen Mädchen dreht, die ihn schweigend ankichert.
»Hoffen wir, dass es kein böses Vorzeichen für die wirkliche Drachenjagd ist, wenn ich mich bereits von einer wehrlosen Dame einfangen lasse!«
Er lacht und befestigt die Fackel an einer Vorrichtung an der Wand. Dann packt er die Magd mit den Händen fest an beiden Oberarmen, küsst sie und drückt sie an das Fass, das dem gegenübersteht, unter dem Envin liegt.
Regungslos harrt Envin in seiner Position aus und beobachtet das Schauspiel, das sich ihm bietet. Er will nicht glauben, was sein Bruder da macht. Die Magd hat sich mittlerweile mit beiden Beinen um Sidus Hintern geklammert. Sidus reißt sich von ihr los, stellt sich ihr gegenüber und starrt sie an. Sie greift mit der Hand an ihren Hals und
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